38 - Satan und Ischariot II
Lande so edel noch nicht gesehen hatte. Unweit davon sahen wir die doppelte Anzahl Reitsättel und alles Dazugehörige am Felsen liegen. Noch weiter oben weideten drei hochedle Pferde; sie waren in einem Pferch eingeschlossen, welcher aus in die Erde gesteckten Lanzen bestand, um die man, von einer zur anderen, Palmenfaserstricke gezogen hatte. Schon der Umstand, daß man die Tiere in der Weise von den anderen abgesondert hatte, ließ auf ihren Wert schließen; den Kenner aber mußte ihr Anblick in Entzücken versetzen. Unweit davon lagen die Sättel, das Riemenzeug und die Schabracken. Der Scheik bemerkte, mit welcher Bewunderung ich diese Pferde betrachtete, und sagte:
„Ihr Stammbaum reicht bis hinauf zur Lieblingsstute des Propheten. Diese Pferde sind mehr wert als sämtliche Herden unseres Stammes.“
Also in die Felsspalte sollten wir treten; sie war das ‚Haus des Besuches‘, von welchem der Scheik gesprochen hatte! Ein eigentümliches Haus! Der Felsen war wohl an die fünfzig Ellen hoch; die Spalte reichte vielleicht bis zur Hälfte der Höhe hinauf, war aber so schmal, daß unten zu ebener Erde nur zwei Mann stehen konnten, wenn sie sich zusammendrängten; sie war also weit eher ein Riß als eine Spalte zu nennen. Neben ihr, oder vielmehr ungefähr zehn, zwölf Schritte von derselben, sickerte das Wasser aus der Erde und bildete einen kleinen Tümpel, dessen Inhalt selbst für Menschen sehr gut genießbar war.
Der Scheik mochte bemerken, daß die Spalte uns nicht so einladend erschien, wie er es wünschen mochte; darum sagte er:
„Es ist hier wirklich das Haus des Besuches, von welchem ich gesprochen habe. Die Spalte wird, sobald man hineingetreten ist, so breit, daß mehr als zehn Menschen Platz finden können. Folgt mir nach!“
„Erlaube uns, zunächst für unsere Tiere zu sorgen!“ bat ich.
„Meinst du, wir kennen die Pflichten der Gastfreundschaft so wenig, daß wir euch selbst die Arbeit machen lassen? Meine Leute werden eure Kamele tränken und eure Schläuche füllen.“
Jetzt war eine Weigerung, wenn wir ihn nicht beleidigen wollten, unmöglich. Und da er uns voranschritt, so gab es auch gar keinen Grund, seiner Aufforderung nicht Folge zu leisten. Wenn die Höhle eine Gefahr für uns barg, so befand er sich doch bei uns, und wir konnten ihn zwingen, teil an derselben zu nehmen.
„Da hinein?“ fragte Winnetou, als er ihn in der schmalen Öffnung verschwinden sah. „Wird mein Bruder ihm folgen?“
„Ja, er ist ja bei uns!“
„Wenn er uns aber betrügt!“
„Wir nehmen alle Waffen mit.“
Wir hatten die wenigen Worte englisch gesprochen. Emery sagte, als er sie hörte:
„Warum so zagen! Was sollen der Scheik und was seine Leute von uns denken! Sie müssen uns für Feiglinge halten. Hinein also und ihm nach!“
Er folgte dem Scheik und wir ihm, nachdem wir unsere Waffen an uns genommen hatten. Solange ich meinen Henrystutzen besaß, brauchte ich mich vor keiner offenen Feindseligkeit zu fürchten. Vor einem arglistigen Angriff aber konnte auch er mich freilich nicht bewahren.
Rechts neben der Spalte lag ein Stein, oder vielmehr er stand, und zwar eigentümlicherweise auf seiner Spitze. Er war ein Felstrümmer von der ungefähren Gestalt der Hälfte einer von oben nach unten durchschnittenen ungeheuren Flasche. Diese halbe Steinflasche mochte wohl an die zwölf Zentner schwer sein und stand nicht mit ihrem Boden, sondern mit ihrem Hals auf der Erde. Dies konnte der reine Zufall sein und war mir nicht auffällig genug, irgendwelches Bedenken in mir zu erregen.
Als wir den Eingang hinter uns hatten, sahen wir allerdings, daß das Innere der Spalte geräumiger war, als man von draußen vermuten konnte. Zehn Mann hatten gut Platz. Der Raum bildete ein längliches Viereck, dessen Boden mit Bastmatten belegt war. In der Mitte lag ein besserer Teppich, auf welchem ein Sufra stand, ein kleines, höchstens zehn Zoll hohes Tischchen, wie man es häufig in Beduinenzelten findet. Gerade aufrichten konnte man sich allerdings nur in der Mitte des Raumes, weil er sich schnell nach oben verengte. Und kühl war es hier, wunderbar kühl! Eine wahre Erquickung nach dem Sonnenbrand, dem wir draußen ausgesetzt gewesen waren.
Der Scheik setzte sich vor dem Tischchen nieder und winkte uns, seinem Beispiel zu folgen. Warum sollten wir das nicht tun, da wir uns nun einmal mit ihm hier befanden?
Kaum hatten wir uns bei ihm niedergelassen, so brachte uns ein junger Hirte drei kleine mit Wasser
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