38 - Wiedergeborenes Scorpio
beschäftigt sein. Ich werde für nichts anderes Zeit haben.« Sein Gesicht spiegelte eine konzentrierte Anstrengung, als mache er sich auf eine große Mühe gefaßt. »Zu unserer aller Wohl hielte ich es für das beste, wenn ihr mich begleiten würdet.«
Ohne nachzudenken, platzte ich heraus: »Und was sollst du ...?«
Mevancy hieb wie ein Meißel dazwischen: »Warte, Kohlkopf!« Sie wandte sich halb zu Mishuro um. »Dies alles ist für Leotes, San?«
»Ja.«
»Dann begleiten wir dich natürlich.«
Und noch immer ahnte ich nichts von dem Hintergrund für alle diese Dinge! Vermutlich hatte der Hieb auf den Kopf meinen Verstand doch nachhaltiger gelähmt. Es war alles so offensichtlich, daß ein Blinder es hätte sehen müssen. Damals aber ermahnte ich mich nur zur Wachsamkeit. Ich wollte weitermachen und sehen, was passierte.
Aber bei Makki-Grodnos vereitertem, heraushängendem linken Augapfel – genau das war manchmal gleichbedeutend mit einem Leem-Schlund, in den man seinen dummen Kopf steckte!
15
Die Frau sagte: »Herr, das Kleine ist gestorben.«
Mishuro betrachtete die Frau sehr aufmerksam. Auf ihrem Gesicht zeigten sich Falten der Erschöpfung, ihr Haar war zerzaust, und der bleiche schwache Mund verriet Resignation. Sie stand an der offenen Tür ihres Hauses, eines Lehmbaus, eines von vielen in der Zone zwischen den landwirtschaftlich bebauten Flächen und der Wüste. Sie trug ein schlichtes sackähnliches Kleid, einst fröhlich-gelb, jetzt aber von ausgewaschenem Braun. Sie trug keinen Schmuck. Ihr Mann schuftete irgendwo auf den Feldern, und sie hätte jetzt an seiner Seite gestanden, wäre da nicht die kürzliche Geburt des Kindes gewesen, das gerade gestorben war.
»Die Frau lügt!« behauptete Hargon mit barscher Stimme.
Tuong Mishuros Gesicht blieb ohne jeden Ausdruck. »Zeig uns das Grab!«
Sie schwenkte die Hand zum Fluß und die kahle Wüste, die dahinter begann.
»Nein«, sagte Hargon, »nein, ich glaube dir das nicht. Zur Seite!«
Der Geruch der bewässerten Anlagen, Schlamm, Vegetation, die Nässe in allem – dies stand wie eine Wolke über der Erde. Die Familie lebte und arbeitete hier seit langer Zeit. Ich sagte mir, daß der Tod eines Säuglings ein schlimmer Rückschlag sein mochte – oder eine segensreiche Befreiung. Damals wußte ich es nicht. Was ich wußte und was ich mir hätte in Erinnerung rufen müssen, war der Umstand, daß jede Familie anders war, wie immer die Umstände im einzelnen auch aussahen.
Die Frau machte eine jämmerlich-abwehrende Bewegung, um Hargon am Betreten ihrer Hütte zu hindern. Ein Söldner, einer von Leotes' Leuten, stieß sie zur Seite. Mir fiel auf, daß er die Frau nicht unnötig grob behandelte. Gefolgt von Mishuro und Llodi, trat Hargon ein. Mevancy schaute zu mir herüber. Ich ahnte ihre Gedanken. Wie kamen wir nur dazu, in solcher unmittelbaren Nähe von Hargon zu arbeiten? Immerhin waren wir es, die ihm die Ermordung Vad Leotes' zur Last legen konnten. Er hatte versucht, uns aus dem Weg zu räumen, und würde sich bestimmt weiter bemühen, uns zu töten. Die Sache war höchst ungemütlich.
Die Sonnen von Scorpio schickten ihr vermengtes Licht über die Felder und spiegelten sich in den Bewässerungsgräben. Die Frau hatte zu weinen begonnen, schimmernde Tränen liefen ihr über die Wangen. Mishuro erschien an der Tür. Sein Gesicht hatte den Ausdruck nicht gewechselt.
»Kling Koo«, sagte er – dies war der Name der Frau. »Es ist nicht das richtige.«
Die Frau sank auf die Knie und hob die Hände. Ihr Gesicht strahlte.
»Lob sei Tsung-Tan!« rief sie. »Lob und Pracht im Übermaß!«
Hargon kehrte ins Freie zurück; sein Gesicht wirkte verkniffen. »Man sollte die Frau bestrafen. Sie ruft Tsung-Tan an, doch gleichzeitig trotzt sie ihm. Das Kolleg ist ausdrücklich ermächtigt, ohne Ausnahme eine Inspektion zu verlangen. Sie ist zu bestrafen.«
»Ich glaube nicht, daß das in diesem Fall wirklich nötig ist.« Mishuro äußerte sich fest und entschieden; gleichwohl schien er zu wissen, daß er sich auf unsicherem theologischen Boden bewegte. »Niemandem ist geschadet worden. Du siehst selbst, warum die Frau gelogen hat.«
Hargons Faust näherte sich dem Dolch. Ich würde dem Cramph den Kopf abschlagen, ehe er die Klinge in Mishuros Nähe schwingen konnte.
»Ja, einige lügen, andere nicht. Sie halten es für eine Schande.« Eine hektische Röte lag auf seinen Wangenknochen. »Ich werde dem Kolleg Meldung machen.«
»Das
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