38 - Wiedergeborenes Scorpio
einer Ausländerin glauben gegen den angesehenen San, der überdies noch Bewahrer war? Das Gesetz war auf Hargons Seite.
Ein Soldat, der an einer Pforte Wache stand, begann im Stehen zu schlafen, und ich ließ ihn zu Boden gleiten. Ich kannte ihn aus der Karawane. Langsam schlich ich weiter und fand eine Tür, die in die rückwärtigen Räume der Villa führte. Es war ein prächtig ausgestattetes Haus, wie es einem Vad geziemte. Tiefe Stille lag in den Sälen und Korridoren, und die Erklärung hierfür fand ich im dritten oder vierten Raum, in den ich schaute. Es handelte sich um den Vorraum zu einem Schlafzimmer. Vorsichtig trat ich ein, denn ich hoffte, daß Hargon hier zu finden sei.
Eine Frau saß dösend in einem Sessel. Sie bewegte sich nicht, als ich an ihr vorbeiging. In dem dahinterliegenden Schlafzimmer fand ich Strom Hangol.
Sein Gesicht hatte die Farbe und den Glanz einer alten Kerze. Es schimmerte vor Schweiß, die Haut wirkte durchscheinend, Schatten lagen unter den geschlossenen Lidern. Er atmete kaum. Ich schaute eine Zeitlang auf ihn hinab, dann seufzte ich und entfernte mich. Selbst in diesem Zustand trug er seine silberne Halbmaske.
Zwei Türen weiter fand ich San Hargon.
Zwei hübsche Jungen lagen, von mir bewußtlos geklopft, auf den Teppichen. Sie hatten mich nicht kommen sehen; dagegen Hargon um so mehr, denn er fuhr erschrocken im Bett hoch. Er versuchte zu schreien. Doch ich tat ein paar Riesenschritte, erreichte ihn und krampfte ihm die Hand um die Kehle. Sein Mund wölbte sich nach außen. Er gab ein lustiges Miauen von sich, aber um Hilfe konnte er nicht mehr betteln. Die Augen traten ihm allmählich aus dem Kopf.
»Hör mir zu, du Kleesh, hör mir sehr gut zu!« sagte ich ihm ins Ohr. Ich schüttelte ihn, um ihm begreiflich zu machen, daß ich es ernst meinte. Er zog die rechte Hand unter der Bettdecke hervor, in der – oha! – ein Dolch blinkte. Ich nahm ihm die Waffe mit der freien Hand weg und steckte ihm die Spitze in die Kehle – ein kleines Stück.
Mit Fingern und Daumen kniff ich ihm in die Wangen, und mir war egal, ob ich ihm dabei die Zähne eindrückte. »Ich habe gesagt, du sollst mir zuhören und nicht irgendwelche dummen Dolchspielchen treiben.« Seine Augen rollten herum. Ich fuhr mit deutlicher Stimme fort: »Du hast versucht, Dame Mevancy zu töten. Das wird dir nicht gelingen; aber du störst mich irgendwie, wie eine Pestfliege. Versuch es nicht noch einmal! Ich werde dich jetzt nicht töten. Glaub mir, versuchst du noch einmal, Dame Mevancy ein Leid zuzufügen, stirbst du so sicher, wie sich Luz und Walig morgen früh am Firmament erheben werden.« Ich war stolz, daß ich mich so gut beherrschen konnte. Doch plötzlich überkam mich eine Vision – das Bild von Mevancys Arm und Bein, die unter der Statue hervorragten, das Bild Mevancys im Maul eines Stranks, das Bild Mevancys, die gefesselt in Hangols Zelt hockte. Ein Schauder durchlief mich. Ich schleuderte den Dolch in eine Ecke des Zimmers und setzte San Hargon die Faust aufs Auge.
Er zuckte zurück, und ich ließ ihn los und versetzte ihm, schnell wie ein Leem-Biß, einen Hieb auf die Wange. Bewußtlos sank er in die Kissen.
Nun ja, soviel zu meinem Vorsatz, den alten Leem Dray Prescot zu bändigen.
Der Rückweg war so leicht wie der Hinweg. Ich kehrte zu Mishuro zurück; dabei kam ich mir sehr klein und unbedeutend vor, spürte nach wie vor das seltsame Kribbeln im Rücken und war gar nicht sicher, ob San Hargon meinen weisen Rat befolgen würde.
16
Die städtischen Wachen kamen mich holen, als Luz und Walig in den blassen kregischen Himmel zu steigen begannen.
Nun ja, was hatte ich sonst erwartet?
San Hargons Temperament war nun einmal nicht dazu geeignet, sich eine solche Kränkung, den Überfall und die Prügel, gefallen zu lassen. Zweifellos hatte er, kaum daß er wieder zu sich kam, nach seinen Leuten gebrüllt, hatte die Stadtwächter gerufen, war notfalls sogar zur Königin gerannt, um meine Verhaftung, meine Einkerkerung, den Prozeß und die Strafe in die Wege zu leiten. Diese Strafe würde das Todesurteil sein.
Ich verschwand über die rückwärtige Mauer, als die Wächter zur Vordertür hereinkamen. Llodi rief: »Ich habe dich nicht gewarnt, damit du allein abhaust! Wart auf mich!«
»Nein, Llodi. Du bleibst bei Mevancy.«
»N-nun ja, bei Lohrhiang vom Geraden Wege! Gut, gut!«
So zog ich ab und huschte in eine erwachende Stadt hinaus, in der sich im Laufe des Tages die Suche
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