39 - Satan und Ischariot III
noch da. Aber ich versichere Ihnen, daß ich nicht zu viel wage und daß mir nichts geschieht. Also zagen Sie nicht; halten Sie sich stramm, und seien Sie überzeugt, daß wir Sie sicher herausholen werden, denn –“
Ich hielt inne, weil in diesem Augenblick ein lauter schriller Schrei durch das Lager ertönte. Die alten Weiber vor dem Zelt sprangen auf und entfernten sich neugierig einige Schritte, so daß sie uns nicht mehr so leicht wie vorher bemerken konnten.
„Was war das? – Was hat das zu bedeuten?“ fragte Martha.
„Es ist der Sammelruf der Indianer. Der Häuptling ruft seine Posten zusammen. Daraus ersehe ich, daß man nach den Vorschlägen Meltons handeln wird. Jedenfalls wird sehr bald eine Abteilung aufbrechen, um uns zu fangen. Ich muß fort. Also Mut! Und leben Sie wohl!“
Wir hatten ein großes Glück gehabt, so lange und so ungestört miteinander sprechen zu können. Sie reichte mir die Hand; dann rutschte ich in das Wasser hinab. Eben wollte ich unter meine Insel kriechen, da hörte ich, wo ich mich soeben noch bei Martha befunden hatte, eine mir bekannte, laute Stimme sagen:
„Mrs. Werner, ich komme, um mich von Euch zu verabschieden. Zwar bin ich überzeugt, daß Euch das Scheiden von mir sehr schwer fällt, aber ich kann Euch den Trost erteilen, daß wir uns recht, recht bald wiedersehen werden.“
Jonathan Melton war es, der so gesprochen hatte, und zwar in einem so niederträchtig höhnischen Ton, daß ich am liebsten hinaufgesprungen wäre, um ihn zu fassen und mit mir herunter in das Wasser zu ziehen. Ich hätte das wahrscheinlich auch getan, denn wie die Sachen jetzt standen, wäre es wohl möglich gewesen, mit ihm aus dem Lager zu kommen, da die Posten zusammengerufen worden waren, aber ich hatte nicht nur auf Martha, sondern auch auf Murphy und – auf die Brieftasche Rücksicht zu nehmen. Darum kroch ich vollends in mein Versteck hinein und lauschte. Er fuhr fort:
„Ich bin's nicht allein, der sich entfernen muß, sondern auch Ihr werdet das Lager verlassen.“
Ah, dachte ich, wenn sie nur jetzt klug wäre! Wenn sie nur jetzt nicht schweigen, sondern ihm antworten wollte. Und sie war klug; sie mochte sich sagen, daß ich, der ich ja wohl noch nicht fort war, gern hören würde, was er weiter sprach. Sie fragte:
„Ich hier fort? Wann denn?“
„Schon mit Anbruch des Tages und zwar mit den Indianern, die gegen die Nijoras ziehen. Ich will Euch beweisen, wie wenig ich Euch und Eure sauberen Freunde fürchte. Meine Offenheit soll Euch sagen, daß Ihr schon jetzt nicht mehr für mich vorhanden seid. Der rote Winnetou und der sogenannte Old Shatterhand sind uns nachgeritten, um uns zu fangen. Ihr und Euer kluger Advokat habt das Resultat nicht abwarten können, und seid ihnen gefolgt. Das war eine große Albernheit von euch allen, denn die Meltons haben euch schon wiederholt bewiesen, daß ihr mit all eurer Klugheit nicht an sie kommt. Ihr befindet Euch mit dem Advokaten jetzt in meiner Gewalt, und ich reite schon in einer Viertelstunde mit einer Abteilung von fünfzig Mogollon ab, um Old Shatterhand, Winnetou und den Engländer dazu zu holen. Befinden sie sich noch auf dem ‚Schloß‘, wohin Ihr wolltet, so werden wir bis dorthin reiten und sie überrumpeln; sind sie aber schon fort, so treffen wir sie unterwegs. In beiden Fällen ist es schon jetzt so gut, als ob wir sie fest hätten. Euch und den Advokaten aber nehmen die Roten am Morgen mit, damit ich nicht so weit zurückzureiten habe. Ich werde in einer sehr schönen Gegend, welche man das ‚Dunkle Tal‘ nennt, auf sie und also auch auf Euch treffen. Was meint Ihr wohl, was dann geschehen wird?“
„Ihr laßt uns frei?“
„Frei? Das kann nur ein Weib sagen. Ich bin der Erbe des alten Hunter; hört Ihr es, ich! Es darf keinen anderen Erben geben! – Wißt Ihr, was das heißt?“
„Wollt Ihr uns etwa töten!“
„Töten? Ah, ja, jetzt redet Ihr viel vernünftiger als vorher. Ihr seid der Wahrheit so nahe, daß Ihr sie beim Schopf habt.“
„Sir, es kann ganz anders kommen, als Ihr denkt, wenn Ihr gar nicht auf Winnetou und Old Shatterhand trefft!“
„Das ist unmöglich. Entweder befinden sie sich noch im Pueblo, dann stecken sie in der Falle, denn ich kann unbemerkt in die Festung gelangen, ohne daß sie es ahnen, oder sie sind mir schon nachgeritten, und da gibt es nur einen einzigen Weg, auf dem sie uns begegnen müssen. Die sonst so klugen Kerle werden übrigens gar nicht vorsichtig sein, weil
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