39 - Satan und Ischariot III
Brusttasche. Es war nichts drin.
„Leer!“ stöhnte er. „Leer! Er hat sie genommen!“
„Was?“
„Die Brieftasche mit dem Geld! O der Judas, der Judas! Und ich bin sein Bruder!“
„Wem gehörte das Geld?“
„Mir, mir!“
„Aber es war gestohlenes, geraubtes?“
Er schwieg, und erst als ich meine Frage noch zweimal wiederholt hatte, antwortete er:
„Das geht euch den Teufel an, ihr, ihr –!“
Er sah sein Messer, welches wir ihm aus dem Gürtel gezogen hatten, neben sich liegen, griff nach demselben und zückte es gegen mich. Es bedurfte trotz seiner Verwundung keiner kleinen Anstrengung, es ihm aus der Hand zu winden.
„Gebt Euch keine Mühe, uns von Eurer Gesinnung zu überzeugen“, sagte ich ihm; „wir kennen sie, auch ohne daß Ihr Euch vergeblich mit dem Messer bemüht.“
Das kurze Ringen mit mir hatte ihn angestrengt; das Blut floß stärker aus der Wunde; er schloß die Augen. Während ich mich bemühte, die Blutung zu stillen, sprach er wie abwesend, langsam, in Pausen und mit leiser Stimme:
„Gefangen – ergriffen! Winnetou – Shatterhand, die Hunde! Beraubt – erstochen – von Thomas – verdammter Judas – verdammter Ischariot! Oh Rache, Rache – Rache!“
Er schien sich in einem halbwachen Zustand zu befinden, was ich benutzte, um vielleicht etwas zu erfahren, indem ich sagte:
„Er hat Euch Euern Anteil an Hunters Geld genommen, der Schurke!“
„Ja – Hunters Geld!“ nickte er, ohne die Augen zu öffnen.
„Und er hatte doch ebensoviel!“
„Ja, gerade soviel!“
„Das übrige hat alles Jonathan!“
„Jonathan – alles! Rache – – – Rache!“
„Die wird ihm werden! Wir reiten ihm nach bis – – –“
Ich wartete mit Spannung, was er sagen würde.
„Bis an den Flujo blanco – White fork –“ hauchte er.
„Wo die Jüdin ihr Schloß hat?“
„Ihr Schloß – ihr Pueblo.“
Dann riß er plötzlich die Augen auf, starrte mir ins Gesicht und schrie mich an:
„Wer bist du?“
„Ihr kennt mich doch!“
„Ja, ich – kenne Euch. Old Shatterhand – Winnetou, die beiden Teufel – Teufel – Teufel! Was fragst du mich? Laßt mich in Ruh!“
„Ich denke, wir sollen Euch an Eurem Bruder rächen?“
„Rächen –! Ja – ja – ja! Jagt ihm nach – schießt ihn nieder – nehmt ihm das Geld, und bringt – –“
Dann ballte er plötzlich beide Fäuste und fuhr fort:
„Nein, nein – ich sage nichts, gar nichts! Mag Thomas entkommen! Ihr seid – seid – Ihr erfahrt nichts – nichts – nichts von mir! Geht in die Hölle – Hölle-Hölle!“
Er sank hintenüber und war still. Das Blut floß reichlicher; da er sich aber nicht mehr bewegte, gelang es uns, es abermals zu stillen. Er fiel in Schlaf.
Winnetou war bisher still gewesen; er ließ sein Auge forschend auf dem Gesicht des Schlafenden ruhen und sagte dann:
„Er wird diesen Ort hier nicht wieder verlassen.“
„Dann wollen wir hoffen, daß er noch bereut, ehe er stirbt!“
„Möchte es bald zu Ende sein, damit wir aufbrechen können, um seinen Bruder zu verfolgen. Du hast Mitleid mit ihm?“
„Ja.“
„Er verdient es nicht. Er war schlimmer als ein Tier. Weit mehr Mitleid verdient das Pferd hier, welches nie gesündigt hat. Winnetou wird seinen Schmerzen ein Ende machen.“
Das Pferd mühte sich, vor Schmerz schnaubend, noch immer vergeblich ab, sich aufzurichten. Der Apache hielt ihm die Mündung seiner Silberbüchse an den Kopf und gab ihm die erlösende Kugel. Als der Schuß krachte, fuhr Melton mit dem Oberkörper empor, blickte erschrocken und mit weitaufgerissenen Augen umher und fragte:
„Wer hat geschossen? Galt das dem – dem –“
Ohne die Frage ganz auszusprechen, sank er wieder nieder und blieb nun stundenlang so liegen. Zuweilen flüsterte er etwas, was wir nicht verstehen konnten. Diese äußerliche Ruhe schien Schlaf zu sein, war es aber nicht. Seine Seele war wach; das sahen wir an den verschiedensten Ausdrücken, welche unaufhörlich über sein Gesicht glitten.
„Jetzt wissen wir genau, wo das ‚Schloß‘ der Jüdin liegt“, bemerkte ich zu Winnetou.
„Ja, am Flujo blanco; er hat es verraten.“
„Kennt mein Bruder diesen Fluß?“
„Ich war nicht dort, aber in der Nähe und werde ihn sehr leicht finden. Er kommt von der Sierra Bianca herab und wird von den Yankees White fork genannt.“
Um die Mittagszeit kam Emery mit Vogel nach. Als der Abend angebrochen war, kam das Ende. Melton sprang mit
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