4 Meister-Psychos
mir. Ich sah an ihr hoch.
»Wenn es keiner ist — tja — ich
weiß auch dann nichts. Ist das dein Buch? Von wem hast du das?«
»Von Mara.«
»Ach, von ihr?«
»Ja. Vorige Woche geliehen.«
»Gehört ihr das?«
»Nein. Sie hat es selbst
geliehen. Von irgend jemandem.«
»Von irgend jemandem.« Ich
klappte den Einbanddeckel um. Blätterte vorn und hinten. »Kein Name drin.«
Tessa nahm das Buch, blätterte
hastig. »Das ist nicht aus der Leihbibliothek. Das muß sie von einem Bekannten
haben!«
»Ach so. Und du meinst...«
Es klingelte laut und drohend
an der Tür, und wir fuhren zusammen und rührten uns nicht.
Was war zu machen? Nichts. Gar
nichts. Wir schliefen. Alles schlief. Wir hatten einfach keine Lust. Oder waren
nicht da.
Nicht da?
Man hatte uns kommen sehen,
möglicherweise, man hatte mich gehen sehen, gekommen war ich vorhin mit dem
Paket. Vielleicht hatten sie die andere Hälfte von Mara schon gefunden und
waren hinter dem Rest her.
Lieber aufmachen. Sie würden
doch wiederkommen.
»Kann ein Vertreter sein«,
sagte ich leise zu Tessa, »kann auch schon die Polizei sein. Alles erzählen,
wie es gewesen ist.«
Sie zog die Decke höher. Die
Glocke ging noch mal.
»Ich seh’ nach. Zieh dir ein
bißchen was an.« Ich ging zur Wohnzimmertür hinaus, schlenderte den Gang
entlang, ohne Eile. Ein Mann, der nichts zu fürchten hat.
Vor der Schwelle stand ein
kurzsichtiger Mann mit Brille. Er trug einen Einreiher aus grauem Stoff mit
Nadelstreifen. Baujahr neunzehnhundertzweiunddreißig mit rockweiten Hosen. Dazu
ein blaßgrünliches Hemd und einen weißen Umlegekragen. Ein gelb-rot-gestreifter
Schlips hing über seine magere Brust. Größe etwa einsachtundsechzig. Seine
Schuhe waren solide, rissig, blank geputzt. Die konnte er seinen Kindern
vererben. In der rechten Hand hielt er einen Filzhut von ungenauer Farbe.
Gesamtdiagnose: Engländer.
»‘ss Gott«, sagte ich.
»Pard’n me...«
Der konnte kein Deutsch.
»Can help you?« fragte ich und
lächelte gemessen. Mit Maras Kopf hinter mir.
Er entschuldigte sich noch mal
und fragte nach einer Familie von Revern oder Roven. Ich antwortete, sorry, ich
wäre nur zu Besuch und nicht oft im Haus, aber soviel ich wüßte, gäbe es diese
Leute hier nicht. Vielleicht nebenan, rechts oder links. »Sind Sie sicher, daß
die Nummer stimmt?«
Er fand heraus, daß die Nummer
in seinem Notizbuch recht unleserlich notiert war. Konnte siebzehn oder elf
heißen.
»Tut mir leid. Hätte Ihnen gern
geholfen.«
Er bedankte sich äußerst
höflich.
Ich ging zurück. Tessa lag
unverändert.
»Harmloser Idiot. Nix Polizei.
Aber wir müssen jetzt hin. Sei lieb und zieh dich an.«
Tessa richtete sich auf, hielt
die Decke vor die Brust. »Paul!«
Ich sah sie an und streichelte
sie.
»Ich will zu Mara!«
»Was willst du?«
»Zu Mara.«
Behutsam holte ich Luft.
»Tessa, wir müssen damit rechnen...«
»Ich weiß, ich weiß, ich weiß!«
schrie Tessa. »Ich weiß, daß sie nicht mehr in einem Stück ist! Sie muß tot
sein, wenn ihr Kopf da draußen liegt. Aber ich will sie sehen, verstehst du,
noch mal sehen! Deine verfluchte Polizei kann immer noch kommen.«
Sie weinte wieder wie vorhin.
»Schön«, sagte ich. »Wenn du
sie noch mal sehen willst, schön. Sie wird im Leichenschauhaus oder in der
Pathologie zwar auch nicht viel anders aussehen...«
Tessa schlug mir ins Gesicht.
»Zieh dich an«, sagte ich,
»machen wir es. Klingt ja auch ganz plausibel, wenn wir als erstes in ihre
Wohnung gerannt sind. Und wenn du noch mal umfällst, wirst du auch noch mal
wieder wach werden.«
»Verzeih mir, bitte.«
»Kann mich an gar nichts
erinnern.«
Tessa zog sich schnell an.
Make-up war nötig.
Das Haus lag friedlich wie
ehedem, als ich zur Post gefahren war. Tessa trug ein Sommerkleidchen aus
Leinen und flache Sandalen. Jeder auf der Straße mußte uns für ein zufriedenes,
einiges Liebespaar halten. Die hatten eine Ahnung.
»Fahr du«, sagte Tessa.
Ich fuhr ohne Hast. Manchmal
sah ich verstohlen nach rechts zu Tessa. Ihre Augen hielt sie geradeaus und
sprach nicht.
Mara wohnte in einer besseren
Gegend, noch etwas aufwendiger. Parkplätze fand man hier immer. »Hast du den
Schlüssel?«
Sie fand ihn in ihrer
Handtasche. Die Tür ging lautlos, die Hausbriefkästen glänzten poliert. Im
fünften Stock verließen wir den Lift und seine Holztäfelung. Vor Maras Tür nahm
ich Tessa um die Schultern. »Meinst du, es wird gehen?«
»Paul...«
»Was?«
»Wenn
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