4 Meister-Psychos
Geburtstagskarte mit Scherenschnittbild.
Herzlichen Glückwunsch, hatte Vera daraufgeschrieben.
Glatte Männer küßt man lieber.
Ich sah sie an. In ihrem
Cocktailkleid sah sie aus wie ein schwarzer Engel.
»Wirklich nett von dir, Vera.
Genau das, was ich brauche.«
Jeden Morgen schnitt ich mich,
wenn ich die Klinge über meine unreine Haut führte.
»War das nicht zu teuer für
eine arme Volontärin?«
»Ach, red nicht!«
Ich stand in der Mitte des
Zimmers. Sie kam auf mich zu, bis ich ihre hellen Augen dicht vor mir sah, und
legte! ihre Arme um den Kragen meines guten Anzugs. Ich stand steif da, mit dem
Päckchen in der Hand, und konnte mich nicht bewegen.
»Kleines Geburtstagsküßchen,
Herr Doktor?«
Sie preßte ihre Lippen auf
meinen Mund und öffnete sie. Noch nie hatte ich ein derartiges Gefühl verspürt.
Ich schloß die Augen und vermochte kaum mehr zu atmen.
Dann ließ sie mich los.
Sie lächelte und rieb mit ihrem
Taschentuch an meinem Mund herum.
»Doch nicht ganz kußecht. Und
dabei so teuer.«
Es dauerte einige Zeit, bis ich
wieder zu mir kam.
»Vera«, sagte ich, »der Kuß
allein hätte als Geburtstagsgeschenk genügt.«
»Schon gut, Meister. Gibt’s nun
endlich was zu essen?«
»Ja, ja, sofort, Vera. Aber
erst mußt du meinen Cocktail probieren.«
»Cocktail?«
»Und was für einen.«
Ich füllte die Gläser. Vera
probierte und spitzte die Lippen. »Herrlich! Was ist das?«
»Alte Apothekerkräuter«, sagte
ich. »Du mußt noch mehr Hunger bekommen. Sonst schaffen wir die Platte nicht.«
Wir tranken, bis nichts mehr
von der Mixtur übrig war. Dann machten wir uns über die Platte her. Vera aß mit
fröhlichem Gesicht, und ich freute mich, daß es ihr schmeckte.
»Wo hast du die Rosen her?«
fragte sie.
»Weiß ich nicht mehr«, sagte
ich. »Weiß nur, wer sie nachher mitnimmt.«
»Aber Stephan...«
»Doch, doch.«
Nach dem Essen räumte Vera ab.
Ich mußte sitzen bleiben. Sie kochte den Kaffee, und wir tranken ihn zu einer
Zigarette. Ich war restlos glücklich und konnte kein Auge von Vera lassen.
Aber eine leise Spannung fühlte
ich, und sie wuchs, je weiter die Zeit vorrückte.
Sollte ich die Entscheidung
hinausschieben? Dann war alles offen und nichts verloren. Ach was. Auch sie
würde Bedenkzeit brauchen, vielleicht. Jetzt war die Gelegenheit, jetzt mußte
es heraus.
Ich holte die erste Sektflasche
aus dem Wasser, trocknete sie ab und nahm sie mit hinein. Vera wollte es
knallen hören, hielt sich aber die Ohren zu. Ich löste den Draht und den Bügel.
Langsam schob sich der Korken heraus und schoß mit Plopp zur Decke. Ich hatte
Mühe, den Sekt in meinem Glas aufzufangen.
Wir tranken uns zu.
»Stephan«, sagte Vera, »alles,
was du dir wünscht, soll in Erfüllung gehen!«
»Würdest du dazu helfen?«
fragte ich.
»Immer!«
»Ich komme darauf zurück«,
sagte ich.
Eine Stunde verging. Wir
sprachen über alles mögliche. Vera erzählte von ihrer Arbeit. Wir holten
gemeinsame Erlebnisse hervor und kramten in Erinnerungen.
Ich trank mehr und schneller
als Vera. Auch sie kam in Stimmung. Als es elf war und die zweite Flasche zur
Neige ging, hatte ich meine Hemmungen überwunden. $
Ich stand auf und drehte das
Radio ab. Veras erstaunter Blick folgte mir.
»Nanu«, sagte sie, als ich
wieder saß. »Du wirst ja auf einmal so offiziell.«
»Vera«, sagte ich und
betrachtete meine Fingerspitzen, »hast du Lust, mir eine Weile zuzuhören?«
»Aber natürlich, Stephan. Ich
hör’ dir gern zu. Erzähl! etwas.«
Ich sah sie an, schlug den Blick
jedoch sofort wieder nieder.
»Du darfst mich aber nicht
unterbrechen, Vera. Sonst komme ich aus dem Konzept, und aus ist es.«
»Nein, ich höre brav zu. Aber
vorher mußt du noch; etwas einschenken.«
Ich war froh, es tun zu können.
Es war wie ein Aufschub. Ich goß die Gläser voll und gab Vera Feuer für die
nächste Zigarette. Dann holte ich Luft und fing an!
»Vera«, sagte ich, »außer
meinen Eltern kennst du mich am längsten. Wir haben zusammen gespielt, uns
gebalgt, Kirschen gestohlen und zusammen den Hintern vollgekriegt. Wir haben
miteinander studiert und arbeiten jetzt ein paar Häuser voneinander entfernt.
Du weißt ungefähr, was an mir dran ist, und was nicht.«
Ich nahm einen Schluck. Vera
hatte sich nicht gerührt.
»Auch ich kenne dich, Vera. Und
bei dir weiß ich, was dran ist. Vielleicht weißt du, daß ich dich lieb habe.
Vielleicht auch nicht. Es ist so. Immer schon so gewesen. Du bist das
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