4 Meister-Psychos
vor.
»Tür war verriegelt?«
»Ja. Und der Schlüssel zweimal
rumgedreht.«
Mr. Henry schwieg jetzt so
lange, daß Bradford Ungeduldig wurde.
»Nun, Sergeant? Was denken
Sie?«
»Was ich — oh, es ist mir von
jeher schwergefallen, etwas zu denken, Sir Aubrey.«
Luther nickte verstehend, und
Bradford unterdrückte eine Antwort.
»Sehe hier keinen Anhalt für
Mord, beim heiligen Michael.«
Der Sergeant machte beim Anruf
seines Namensheiligen ein gottesfürchtiges Gesicht.
»Aber etwas anderes
interessiert mich.«
»Dürfen wir erfahren, was es
ist, Mr. Henry?«
Luthers Stimme triefte von
Höflichkeit. Henry nahm den Hörer wieder auf und betrachtete ihn sinnend.
»Wäre wichtig zu wissen, ob sie
telefoniert hat, bevor sie starb.«
XI
Der Polizeiarzt war ein
vollkommenes Gegenstück von Mr. Henry dem Zweiten, so daß es schien, als wäre
er erschaffen, um dessen Erscheinung auszugleichen. Seine Nase erhob sich nur
unwesentlich aus dem rosigen Gesicht. Er war klein und wußte im Gegensatz zu
dem Sergeanten stets genau, wo sich seine Hände und Füße gerade aufhielten.
Nichts an ihm war zerknittert, und sein Bleistift wies keine Spuren von Zähnen
auf.
Er kam schon früh und blieb
eine Viertelstunde mit Dr. Summerville und Henry im Zimmer der Toten.
Auf dem Hof hatte sich
inzwischen der Wagen der Bestattungsanstalt eingefunden. Drei würdige Herren in
Schwarz blickten gelangweilt in der Gegend umher und sahen abwechselnd nach der
Uhr.
Al saß mit den anderen in der
Halle, als der Polizeiarzt mit Henry und dem eifrig redenden Summerville die
Treppe herunterkam.
»Ich kann die Diagnose Dr.
Summervilles nur bestätigen«, sagte er lebhaft und bestimmt. »Es sind keine
Anzeichen für einen unnatürlichen Tod vorhanden. Sie erlitt einen Herzkrampf
und starb, ehe sie sich bemerkbar machen konnte. Vermutlich hat sie noch
versucht, zu telefonieren und um Hilfe zu rufen. Aber es ging zu schnell.«
Er bohrte die Spitze seines
Regenschirmes in den Teppich.
»Die gerichtsmedizinische
Untersuchung können wir ihr ersparen. Glaube auch, daß das in Ihrem Sinne ist.«
»Ganz in unserem Sinne,
Doktor«, sagte Bradford schnarrend aus dem Hintergrund.
»Das Medikament?« fragte June
leise.
»Ganz harmlos, Miß Hollingway.
Wir werden es trotzdem untersuchen lassen. Sergeant Henry gibt Ihnen Bescheid,
wenn er seinen Bericht gemacht hat. Und jetzt erlauben Sie, daß ich mich
empfehle — habe noch einen Haufen Pat... äh — Arbeit.«
Bradford und Summerville
begleiteten ihn zum Ausgang. Wenige Minuten später traten die schwarzen,
schweigsamen Männer ein, und Hatch führte sie nach oben.
Als die Bahre hinausgetragen
wurde, preßte June ihr Gesicht an Luthers Brust, und er streichelte ihr Haar
und ihre Schultern.
Bradford nagte an seiner Unterlippe,
und seine Augenbrauen waren dicht zusammengezogen. Hatchs Augen waren so wäßrig
wie nach einer halben Flasche Gin.
Dann standen sie alle auf dem
Treppenvorbau und sahen, wie Lady Hollingway ihre letzte Fahrt antrat.
Am Nachmittag saß Al auf seinem
Bett und überlegte, was er tun sollte. Gleich von selber weg, das würde das
beste sein, ehe er Bradford den Triumph überließ, ihn rausfeuern zu können.
Trotzdem — die Beerdigung mußte er noch abwarten. Lady Cynthia hatte es
verdient.
Er dachte an June und seufzte.
Hätte alles so schön werden können! Er war und blieb ein verdammter Pechvogel,
trotz gelegentlicher Lichtblicke. Wütend versetzte er dem nächststehenden Stuhl
einen Tritt.
»Tut nichts«, sagte Hatch in
der Tür. »Sind solide Möbel. Verzeihen Sie — mein schüchternes Klopfen ging in
dem Lärm unter.«
Al freute sich ehrlich. »Haben
Sie es wunderbar raus, zu erscheinen, wenn man Sie braucht, Mr. Hatch! Ist wohl
unnötig nachzusehen, ob Sie eine Ginflasche mit sich führen?«
»Vollständig unnötig«, sagte
Hatch und stellte die Flasche auf den Tisch. »Ich weiß, daß Sie Kummer haben,
Mr. Maycock, und ich habe auch welchen. Mit einem Schluck trägt sich’s
leichter, und Lady Cynthia nimmt’s uns nicht übel, wie ich sie kenne...
kannte.« Al stand auf und ging, das Fenster zu schließen.
»Mr. Hatch«, rief er, »sehen
Sie, wer da geht!«
Sir Aubrey Bradford entfernte
sich mit raschen Schritten vom Haus.
»Auf zum Anwalt«, murmelte
Hatch hinter Al. »Ja, ja, Mr. Maycock. Trauer schützt vor Geldgier nicht. Sind
eben zwei verschiedene Dinge.«
Er ließ den Gin in die Gläser
laufen, der dort nicht lange blieb.
»Mr. Luther
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