4 - Wächter der Ewigkeit
»Wer ist es?«
»Sauschkin.«
»Das kann nicht sein!«, donnerte Geser. »Dieser Hundesohn!«
»Dann müssten die Zauber versagt haben.«
»Meine Zauber versagen nie. Vielleicht hast du daneben geschossen«, brachte Geser in sanfterem Ton hervor. »Anton, lassen wir doch … diese intellektuellen Spitzfindigkeiten. Komm her – dann zeige ich dir etwas, das ich dir eigentlich nicht zeigen wollte.«
»Ich kann’s kaum noch erwarten«, schnaubte ich.
»Ich meine die Überreste von Konstantin Sauschkin. Sie werden bei uns aufbewahrt, in der Wache.«
Jetzt war es an mir zu schweigen.
»Ich wollte dich nicht damit quälen«, fuhr Geser fort. »Verkohlte Knochen sind kein sehr erfreulicher Anblick … Konstantin Sauschkin ist tot. Daran besteht kein Zweifel. Selbst ein Hoher Vampir vermag nicht ohne Schädel zu leben. Genug jetzt. Entspann dich. Wartet auf den Hubschrauber.«
Ich unterbrach die Verbindung. Sah Alischer an, der in der Nähe auf dem Boden lag und Schokolade aß.
»Geser hat mir mitgeteilt, dass Sauschkins Überreste bei uns aufbewahrt werden«, sagte ich.
»Stimmt«, entgegnete Alischer gelassen. »Ich habe sie gesehen. Den Schädel, in den sich das Glas des Raumanzugs gebohrt hat. Dein Sauschkin ist tot.«
»Nimm es nicht so schwer«, ließ sich Afandi vernehmen. »So was kommt vor. Unter jedem Zauber ist es möglich, zu lügen oder ein falsches Spiel zu spielen.«
»Er hätte nicht lügen können …«, flüsterte ich, während ich mir Edgars Gesicht in Erinnerung rief. »Nein, das hätte er nicht …«
Ich inspizierte das Telefon und wählte im Menü den Player an. Stellte den Zufallsgenerator ein. Als ich eine Frauenstimme zu den leisen Klängen einer Gitarre hörte, legte ich das Handy neben mich. Die Minilautsprecher mühten sich nach Kräften.
Einst standen wir früh mit der Sonne auf
Und lebten fast ewig einmal,
Bis einer von uns das flackernde Licht,
Bis einer das Feuer stahl.
Da fingen die einen zu beten an,
Die andren schärften die Krallen.
Doch von dem Blauen Flusse dort
Tranken wir alle.
Dieweil uns die Zeit durch die Finger zerrann,
Ist der Fluss im Herbst fast versiegt.
Da sagten die Hiesigen, dass das nur an
Den Zugewanderten liegt.
Und während die einen von uns einen Sohn,
Die anderen Töchter bekamen,
Tranken wir vom selben Fluss
Alle zusammen. »Afandi!«, rief ich den Alten. »Weißt du, dass mir meine Tochter von dir erzählt hat? Und zwar schon in Moskau.«
»Wirklich?«, verwunderte sich Afandi. »Ist deine Tochter eine Zauberin?«
»Ja«, gab ich zu. »Allerdings noch eine sehr kleine. Sie ist erst sechs Jahre alt. Sie hat mich gefragt, ob du ihr Perlen schenkst. Blaue.«
»Dein Töchterchen lob ich mir!«, rief Afandi begeistert. »Erst sechs Jahre – und schon denkt sie an Perlen! Und dann noch Türkise! Eine gute Wahl … Da, nimm!«
Ich bekam nicht einmal mit, aus welcher Tasche er die Perlen hervorzog, die er mir gab. Neugierig besah ich mir die auf eine Schnur gezogenen himmelblauen Türkisperlen.
»Die sind doch magisch, oder, Afandi?«, fragte ich.
»Das ist kaum der Rede wert. Die Schnur ist verzaubert, sodass sie niemals reißen kann. Ansonsten sind es bloß Perlen. Schöne Steine! Ich habe sie für meine Urenkelin ausgesucht. Sie ist zwar schon eine alte Dame, liebt aber nach wie vor Schmuck. Keine Sorge, ich werde ihr neue kaufen. Die nimm für deine Tochter mit, möge sie sie tragen, auf dass sie ihr Glück bringen.«
»Vielen Dank, Afandi«, meinte ich, während ich das Geschenk wegsteckte.
Der eine flog höher und höher hinauf,
Und dem brach der Flügel entzwei.
Bei diesem stand reichlich das Korn auf dem Feld,
Bei jenem – nur Wüstenei.
Der eine starb, von der Kugel gefällt,
Der andere löste den Schuss.
Doch getrunken haben wir alle
Vom selben Fluss.
Und wenn er beim Wein oder Kräutertrank
Des Vaters, der Mutter gedenkt,
Meint dieser, nun sei es Zeit, dass man baut,
Und jener, Zeit, dass man sprengt.
Doch jedes Mal mitternachts macht, der da sitzt
An der Mühle des Schicksals, Schluss
Mit dem Streit zwischen ihnen und sagt,
Wer auf Wache ziehn muss.
Alischer hüstelte. »Vielleicht geht es mich nichts an, Musiker sind ja generell komische Leute!«, bemerkte er leise. »Aber meiner Ansicht nach sollten wir wegen dieses Liedes doch eine Untersuchung einleiten …«
Dritte Geschichte
Das gemeinsame Schicksal
Prolog
Der Lehrer bedachte die Praktikanten
Weitere Kostenlose Bücher