4 - Wächter der Ewigkeit
Staus in den Straßen zu erahnen, hilft mir dann nicht – weil die Staus überall sind.
Und selbstverständlich weiß jede Frau auch ohne Magie, dass ihr Mann nicht ohne Grund früher von der Arbeit nach Hause kommt.
»Papka«, verkündete Nadja. Natürlich wartete sie an der Tür. Sie spürt meine Ankunft von dem Moment an, da ich auf das Haus zukomme – falls sie gerade durch irgendwelche wichtigen Kinderangelegenheiten abgelenkt ist. Wenn sie sich langweilt, weiß sie es vom Augenblick an, in dem ich das Büro verlasse.
Ich versuchte, meine Tochter auf den Arm zu nehmen. Ihr Interesse galt jedoch in erster Linie dem Fernseher, wo gerade Zeichentrickfilme liefen.– Aus dem Wohnzimmer klang quäkendes »La, la, lala, lala, lala, lala!« herüber. Die töchterliche Pflicht war bereits erfüllt, der von der Arbeit heimkehrende Papa begrüßt und in seinen Händen und Taschen nichts Interessantes entdeckt worden.
Deshalb entwand sich Nadja geschickt meinen Händen und lief wieder zum Fernseher.
Ich zog mir die Schuhe aus, warf die unterwegs gekaufte Zeitschrift Der Autopilot auf das Schuhschränkchen und ging ins Wohnzimmer, wobei ich nebenbei meiner Tochter das Haar zerzauste. Nadja fuchtelte mit den Armen, da ich ihr die Sicht auf den Bildschirm versperrte, auf dem gerade ein blauer Elch mit einem halben Geweih Ski fuhr.
Swetlana steckte den Kopf zur Küchentür heraus. Aufmerksam betrachtete sie mich. Machte »hm« und verschwand wieder.
Indem ich sämtliche Versuche, meine Vaterfunktion wahrzunehmen, auf bessere Zeiten verschob, folgte ich Swetlana in die Küche. Sie kochte gerade Suppe. Ich habe nie begreifen können, warum Frauen so viel Zeit am Herd verbringen. Was gibt es da bloß so lange zu tun? Man braucht doch bloß Fleisch oder ein Huhn ins Wasser zu werfen und die Platte anzustellen – danach kocht alles von selbst. Nach einer Stunde tut man Nudeln oder Kartoffeln dazu, etwas Gemüse – und schon ist das Essen fertig. Das Salzen sollte man natürlich nicht vergessen, das ist dann schon das Schwierigste.
»Packst du deinen Koffer selbst?«, fragte Swetlana, ohne sich umzudrehen.
»Hat Geser angerufen?«
»Nein.«
»Hast du in die Zukunft geschaut?«
»Ich habe dir doch versprochen, dass ich das nicht tue, ohne dich vorher zu fragen …« Einen Moment lang schwieg Swetlana, denn ich war inzwischen hinter sie getreten und küsste sie auf den Hals. »Oder im äußersten Notfall …«
»Was sollte dann die Frage nach dem Koffer?«
»Anton, wenn du mittags von der Arbeit nach Hause kommst, lege ich mich abends allein ins Bett. Entweder musst du auf Streife oder auf Geschäftsreise gehen. Aber Patrouillendienst hattest du erst vorgestern, die Lage in der Stadt ist ruhig …«
Im Wohnzimmer lachte Nadja auf. Ich linste durch die Tür: Der Ski fahrende Elch raste mit aus den Höhlen quellenden Augen auf eine Kette von kleinen und eindeutig jungen Tieren zu, die im Entengang an einem Abhang entlangwatschelten. Oh, oh, gleich würde es eine Bescherung geben …
»Sweta, bist du sicher, dass Nadja solche Filme gucken sollte?«
»Sie guckt schließlich auch Nachrichten«, antwortete Swetlana gelassen. »Und jetzt keine Ausflüchte mehr. Was ist passiert?«
»Ich fahre nach Samarkand.«
»Deine Geschäftsreisen stecken einen interessanten geografischen Rahmen ab.« Swetlana schöpfte mit einem Löffel etwas Suppe, pustete und probierte. »Zu wenig Salz … Was ist da los?«
»Nichts. Bisher jedenfalls nicht.«
»Die armen Usbeken. Wenn du kommst, passiert garantiert etwas.«
»Geser hat heute eine Besprechung einberufen. Er hat alle Hohen und Anderen ersten Grades zusammengetrommelt …«
In knappen Worten berichtete ich Swetlana alles, was wir diskutiert hatten. Zu meinem Erstaunen reagierte sie überhaupt nicht darauf – selbst dann nicht, als ich ihr sagte, Nadja solle von jetzt an unauffällig von zwei Lichten und zwei Dunklen Magiern bewacht werden. Besser gesagt: Sie reagierte genauso, wie Olga es prophezeit hatte.
»Auf Geser ist trotz allem Verlass«, bemerkte Swetlana. »Ich habe schon selbst daran gedacht, ihn anzurufen … und um Schutz zu bitten.«
»Du hältst es wirklich … für möglich?«
Swetlana sah mich an. Nickte. »Solange ich in der Nähe bin, geschieht Nadja nichts«, meinte sie. »Glaub mir, ich mache auch aus drei Hohen Hackfleisch. Aber man kann nie vorsichtig genug sein. Wann fliegst du?«
»In fünf Stunden. Von Scheremetjewo aus.«
»Semjon braucht eine
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