4 - Wächter der Ewigkeit
Platz, als er nach hinten blickte und mit dem dünnen Stimmchen eines verzogenen Mädchens sagte: »Gut, Papa, dann nehmen wir den Umweg. Und unterwegs besorgst du mir immerblühende Rosen!«
Alischer lachte los und streckte mir erst danach die Hand hin. »Hallo, Anton.«
»Hallo, Alischer.« Ich drückte ihm die Hand und gab ihm meine Tasche. »Leg das auf den Rücksitz, ich habe keine Lust, den Kofferraum aufzumachen.«
»Wie geht es Swetka? Ist sie nicht böse?«, fragte Semjon, während er anfuhr.
»Nein. Wie kommst du denn darauf? Sie hat mir viel Erfolg gewünscht, mir ein leckeres Essen gekocht und einen Haufen kluger Ratschläge gegeben.«
»Eine gute Frau – die macht sogar ihrem Mann Freude!«, meinte Semjon munter.
»Wieso bist du heute so aufgekratzt?«, konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen. »Hat Geser dich etwa auch nach Samarkand geschickt?«
»Da kannst du bei ihm lange drauf warten«, seufzte Semjon gespielt. »Hört mal, Jungs, was wollt ihr eigentlich in Samarkand? Die Hauptstadt dort ist Binkent, das weiß ich genau.«
»Taschkent«, korrigierte ich ihn.
»Nein, Binkent«, sagte Semjon. »Oder doch nicht? Ah, jetzt fällt’s mir wieder ein! Die Stadt hieß Schasch!«
»So alt bist du nicht, Semjon, dass du dich noch an Binkent erinnern würdest«, warf Alischer amüsiert von hinten ein. »Binkent, Schasch – das ist lange her. Daran erinnert sich nur Geser. Und wir fliegen nach Samarkand, weil der älteste Lichte, der für die Wache arbeitet, dort lebt. In Taschkent ist die Wache zwar größer, wie es sich für die Hauptstadt gehört, aber im Schnitt arbeiten dort nur junge Andere. Sogar der Chef ist jünger als du.«
»Ach du …« Semjon schüttelte den Kopf. »Schon erstaunlich. Im Orient – und nur junge Andere in der Wache?«
»Die Alten im Orient kämpfen nicht mehr gern. Die Alten gucken gern schönen Mädchen hinterher, essen Pilaw und spielen Nardi, eine Art Tricktrack«, erklärte Alischer ernst.
»Fährst du oft nach Hause?«, fragte Semjon. »Zu deinen Verwandten oder Freunden?«
»Seit acht Jahren bin ich jetzt nicht zu Hause gewesen.«
»Wie kommt das?«, wunderte sich Semjon. »Hast du denn gar keine Sehnsucht nach Hause?«
»Ich habe kein Zuhause mehr, Semjon. Und auch keine Verwandten. Nicht einmal Freunde hat der Sohn eines Devonas.«
Eine bedrückende Stille senkte sich herab. Schweigend lenkte Semjon den Wagen.
Nach einer Weile hielt ich es nicht mehr aus. »Wenn diese Frage nicht zu persönlich ist, Alischer … War dein Vater ein Mensch? Oder ein Anderer?«
»Ein Devona ist ein Diener, den sich ein mächtiger Magier schafft.« Alischers Stimme klang so monoton, als halte er einen Vortrag. »Der Magier findet einen Verrückten ohne Familie, den niemand braucht, und flößt ihm Kraft aus dem Zwielicht ein. Er pumpt ihn mit reiner Energie auf … so entsteht ein dummer, aber ausgesprochen kräftiger und magiebegabter Mensch … Obwohl – ein Mensch ist er dann eigentlich nicht mehr. Aber auch kein Anderer, denn all seine Kraft ist geliehen, ist ihm von dem Magier gegeben worden. Ein Devona dient seinem Gebieter treu, kann Wunder wirken … aber mit seinem Kopf ist nach wie vor nicht alles in Ordnung. Normalerweise wählt ein Magier Debile oder Mongoloide, denn sie sind nicht aggressiv und sehr ergeben. Die in sie geleitete Kraft verleiht ihnen Gesundheit und ein langes Leben.«
Wir schwiegen. Diese Offenheit hatten wir von Alischer nicht erwartet.
»Das Volk glaubt, ein Devona sei von Geistern besessen. In gewisser Weise stimmt das sogar … Es ist, als nähme man ein entleertes Gefäß und fülle es erneut. Nur dass es statt mit Verstand mit Ergebenheit gefüllt wird. Aber Geser ist nicht wie alle. Nicht einmal wie alle Lichten. Er hat meinen Vater geheilt.
Nicht ganz – das vermochte selbst er nicht. Mein Vater besaß früher nicht den geringsten Funken Verstand. Ich glaube, er litt an Imbezillität, anscheinend aufgrund eines organischen Hirnschadens. Geser hat seinen Körper geheilt, und mit der Zeit hat sich mein Vater den Verstand eines normalen Menschen angeeignet. Er hat aber nie vergessen, dass er davor ein kompletter Idiot gewesen war. Er wusste auch, dass sein Körper den Verstand erneut vertreiben würde, falls Geser ihn nicht rechtzeitig mit frischer Kraft auftankte. Aber er hat Geser nicht aus Furcht gedient. Er hat immer gesagt, er würde für Geser schon allein deshalb sein Leben hingeben, weil er einmal er selbst sein durfte. Ein
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