4 - Wächter der Ewigkeit
Usbekischkenntnisse?«, wollte ich wissen.
»Kaum. Hier sprechen fast alle Russisch. Nur die ganz Jungen und Dummen lernen es nicht mehr … Außerdem würde man dich sowieso nicht für einen Usbeken halten.« Alischer lächelte. »Adolat – das heißt Gerechtigkeit. Ein schöner Name, nicht wahr?«
»Ja«, pflichtete ich ihm bei.
»Sie ist ein normaler Mensch«, brummelte Alischer. »Hat aber einen schönen Namen. Einen lichten. Wir sind zusammen zur Schule gegangen …«
Durch das Flugzeug ging ein Rütteln, denn gerade wurde das Fahrgestell ausgefahren.
»Sicher, besuch sie nur«, meinte ich. »Ich glaube, zum Büro der Wache finde ich schon.«
»Es geht aber nicht nur um das Mädchen.« Alischer lächelte. »Meiner Ansicht nach wäre es ohnehin besser, wenn du zunächst allein mit den Wächtern vor Ort sprichst. Du zeigst ihnen Gesers Brief, bittest sie um Rat … Ich komme dann in einer oder anderthalb Stunden nach.«
»Du verstehst dich mit den Kollegen wohl nicht besonders gut?«, fragte ich leise.
Alischer antwortete nicht – was auch eine Antwort war. Ich trat aus dem Flughafengebäude, das ohne Zweifel erst kürzlich umgebaut worden war und absolut modern wirkte. Mein Gepäck bestand lediglich aus einer Tasche mit meinen Sachen und einer kleinen Tüte aus dem Dutyfree-Shop. Ich blieb stehen, sah mich um. Ein strahlend blauer Himmel und schon am frühen Morgen sengende Hitze … Der Flughafen war fast leer, unsere Maschine war die erste gewesen, die nächste wurde erst in einer Stunde erwartet. Sofort umzingelten mich private Fahrer, die mir ihre Dienste anboten.
»Fahren wir, mein Teurer!«
»Ich zeige dir alles, da bekommst du gleich eine kostenlose Stadtrundfahrt!«
»Wohin wollen wir denn?«
»Steig ein, ich habe ein gutes Auto, mit Klimaanlage!«
Kopfschüttelnd beobachtete ich unterdessen einen älteren usbekischen Taxifahrer, der gelassen neben einem alten Wolga wartete, auf den mit einer Schablone ein eckiges Taxi gemalt war.
»Bist du frei, Vater?«
»Der Mensch ist frei, solange er an seine Freiheit glaubt«, antwortete der Taxifahrer philosophisch. Er sprach sehr gut Russisch, ohne jeden Akzent. »Steig ein.«
Wie bemerkenswert. Kaum gelandet, war mir – wieso auch immer – ein »Vater« entschlüpft, das der angesprochene Taxifahrer sogleich mit einer der blumigen Weisheiten des Ostens quittierte. »Stammt das von einem der großen Weisen?«, wollte ich wissen.
»Das stammt von meinem Großvater. Er war erst Rotarmist. Dann Volksfeind. Dann Direktor eines Sowchos. O ja, er war ein Großer.«
»Hieß er vielleicht Rustam?«, fragte ich.
»Nein, Raschid.«
Wir fuhren vom Parkplatz, und ich hielt das Gesicht in den durch das kleine Fenster hereinströmenden Wind. Die Luft war warm und frisch und roch völlig anders als in Russland. Die Straße erwies sich als ordentlich, genügte sogar hauptstädtischen Ansprüchen. Eine Wand aus Bäumen zog sich an ihr entlang, spendete Schatten und gab einem das Gefühl, die Stadt bereits erreicht zu haben.
»Klimaanlagen …«, meinte der Taxifahrer nachdenklich. »Alle versprechen ihren Fahrgästen jetzt Kühlung. Kannten unsere Großväter und Urgroßväter etwa Klimaanlagen? Sie öffneten einfach das Fenster im Auto, und das reichte ihnen!«
Verständnislos sah ich den Fahrer an.
»Ich mache bloß einen Spaß«, erklärte er lächelnd. »Sind Sie aus Moskau?«
»Ja.«
»Und ganz ohne Gepäck … Aijaijai!« Er schnalzte mit der Zunge. »Sie werden es doch wohl nicht verloren haben?«
»Ich musste dringend auf Dienstreise. Da fehlte mir die Zeit zum Packen.«
»Dringend? In unserer Stadt gibt es nichts, was dringend wäre. Seit tausend Jahren, zweitausend, dreitausend gibt es diese Stadt schon. Sie hat es sich abgewöhnt, uns mit etwas Dringendem zu überraschen.«
Ich zuckte die Schultern. Das Auto fuhr in der Tat irgendwie gemächlich dahin, was mich jedoch nicht weiter ärgerte.
»Wo soll es denn hingehen? Wir haben das Hotel Samarkand, das Hotel …«
»Nein, danke. Ich bin nicht zum Schlafen hier. Ich muss zum Basar. Zum Siab-Basar in der Altstadt.«
»Das lob ich mir!«, zeigte sich der Fahrer begeistert. »Ein Mensch, der weiß, wo er hin will und wozu. Kaum aus dem
Flugzeug und gleich zum Basar. Ohne Gepäck, ohne Frau, ohne Probleme – so muss man leben! Aber Geld für den Basar haben Sie dabei?«
»Hab ich«, meinte ich nickend. »Wo kämen wir denn da hin? Ohne Geld zum Basar? Was wird denn die Fahrt kosten? Und
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