4 - Wächter der Ewigkeit
was nehmen Sie, Sum oder Rubel?«
»Von mir aus auch Dollar oder Euro«, antwortete der Fahrer sorglos. »Und geben Sie mir so viel, wie Sie entbehren können. Ich erkenne doch einen guten Menschen, wozu soll ich da feilschen? Ein guter Mensch wird sich schämen, einem armen Taxifahrer zu wenig zu bezahlen. Er wird von sich aus mehr geben, als ich mit gutem Gewissen verlangen würde.«
»Und Sie sind ein guter Psychologe«, meinte ich lachend.
»Ein guter?«, fragte der Fahrer nickend. »Ja … vermutlich. Ich habe in Moskau meine Dissertation verteidigt. Vor langer Zeit …« Er verstummte. »Aber Psychologen braucht man heute nicht unbedingt. Als Taxifahrer verdiene ich mehr.«
Er verfiel in Schweigen. Ich wusste ebenfalls nicht, was ich darauf sagen sollte. Doch wir fuhren bereits in die Stadt ein, bald würde mir der Fahrer aufzählen, was ich mir unbedingt in Samarkand ansehen müsste: Da seien die drei Medresen, die das architektonische Ensemble des Registans bildeten, die Bibi-Chanum-Moschee … All das läge übrigens in unmittelbarer Nähe von Samarkands schönstem Basar, dem Siab-Basar, dessen Ruhm, wie dem Fahrer jetzt klar geworden sei, Moskau längst erreicht habe. Den Basar müsse ich auch besuchen, und zwar gleich als Erstes. Es wäre einfach eine Sünde, nicht dort hinzugehen. Aber ich sei ja ein kluger Mensch und würde einen solchen Fehler sicher nicht machen … Vermutlich wäre der Fahrer in höchstem Maße erschüttert gewesen, wenn er gesehen hätte, wie ich am Eingang zum Basar vorbeiging. Selbstverständlich hatte ich einen Besuch dort eingeplant. Dienst ist Dienst – aber ein paar Eindrücke musste man von unterwegs auch mitbringen!
Aber nicht jetzt!
Sobald ich mich aus der lärmenden Menge vor dem Basareingang herausgekämpft hatte, stapfte ich an einer Schar Japaner vorbei – sogar hierher verschlägt es sie jetzt schon! –, die pflichtgemäß mit winzigen Fotoapparaten und Videokameras behangen waren. Dann bog ich in eine Straße ein, die direkt an Bibi-Chanum vorbeiführte. Die Moschee beeindruckte mich in der Tat. Die Keramikverkleidung der großen Kuppel glänzte azurblau im Sonnenlicht. Das Eingangsportal war so riesig, dass es meiner Ansicht nach den Pariser Triumphbogen sogar noch in den Schatten stellte. Das Fehlen von Flachreliefs an den Wänden machte die aufwendige Verzierung der glasierten blauen Ziegel mehr als wett.
Mich erwartete zunächst jedoch ein Bezirk, der nicht im Geringsten pompös oder touristisch war.
In jeder Stadt gibt es Straßen, die unter einem unglücklichen Stern erbaut wurden. Sie müssen keinesfalls immer am Stadtrand liegen. Manchmal verlaufen sie an tristen Fabrikgebäuden vorbei, manchmal neben der Eisenbahn oder einer Autobahn, mitunter liegen sie in der Nähe eines Parks oder einer Schlucht, die die Stadtherren aus Versehen erhalten haben. Niemand wohnt gern in einer solchen Straße, man zieht aber auch nur selten weg – als halte einen ein überlanger Schlummer fest. Das Leben hier folgt nicht den sonstigen Regeln, nicht dem üblichen Tempo …
Ich kenne einen Bezirk in Moskau, wo entlang einer von Bäumen bewachsenen Schlucht eine Einbahnstraße verläuft. Es scheint einer dieser typischen Schlafbezirke zu sein – freilich wortwörtlich in Schlummer versunken. Eines Winterabends rief mich ein Fehlalarm dorthin: Eine Hexe braute für jemanden ihre Tränke, hatte jedoch eine Lizenz. Unser Dienstwagen setzte mich dort ab, ich musste noch ein Protokoll darüber aufnehmen, dass keine Seite Forderungen erhob. Als ich das Haus wieder verließ, versuchte ich zu trampen, denn ich wollte kein Taxi rufen und in der Wohnung der Hexe darauf warten. Obwohl es noch nicht sehr spät war, war es bereits stockfinster. Es schneite. Es waren kaum Menschen unterwegs, niemand schien diese Straße zu benutzen, wenn er aus der Metro kam. Selbst die Autos waren wie vom Erdboden verschluckt, und diejenigen, die doch mal vorbeifuhren, machten keine Anstalten anzuhalten. In der Nähe der Schlucht lag ein kleiner, von einem niedrigen Zaun gesäumter Vergnügungspark: ein Büdchen für den Kartenverkauf, zwei, drei Karussells, eine Eisenbahn für Kinder, deren Gleisring im Durchmesser rund zehn Meter maß. In dieser vollständigen Stille fuhr im sanft vom Himmel fallenden Schnee, vor dem Hintergrund der schwarzen verlassenen Schlucht, bimmelnd und mit bunten Lichtern blinkend eine winzige Dampflokomotive mit zwei Miniwaggons im Kreis herum. Vorn saß absolut reglos
Weitere Kostenlose Bücher