40 - Im fernen Westen
nahen, um –“
„Herr Baron, ich ergreife mit Freuden die Gelegenheit, mich von Ihnen zu entfernen!“
Es lag eine unendliche Verachtung in dem Zucken seiner Augenwinkel und der nachlässigen Art und Weise, in welcher er die Spitzen seines Bärtchens drehte. Sofort aber nahmen, der Baronin gegenüber, seine Züge den Ausdruck tiefsten Respektes an, als er, von ihr sich verabschiedend, sprach:
„Gnädige Frau, ich kenne kein härteres Los, als nach einem Leben voller Entsagung und Enttäuschung weder Liebe noch Verständnis zu finden. Verzeihen Sie meine Indiskretion, welche aus dem Bestreben entspringt, Ihnen meine Hochachtung zu beweisen.“
Trotz der Zudringlichkeit, welche zu jeder anderen Stunde in diesen Worten gelegen hätte, ging es wie eine tiefe, ungewohnte Rührung über ihr sonst so starres und hartes Angesicht, und man sah es ihr an, daß sie ihm gern eine wohlwollende Antwort gegeben hätte.
Aber er hatte sich schon entfernt und schritt auf Gräßler und Thomas zu, welche ihn erwarteten. Jedoch mitten im Lauf hielt er inne und bückte sich zu dem noch am Boden liegenden Überzieher, um ihn aufzuheben und einer näheren Betrachtung zu unterwerfen.
Mit sichtbarer Spannung richtete er das Auge auf die innere Seite des Kragens, wo gerade unter dem Henkel in weißer, Seidenstickerei die Worte ‚Jules Rageller, marchand tailleur, Paris‘ angebracht waren.
Kaum hatte er die Schrift überflogen, so legte er das Kleidungsstück mit gleichgültiger Miene wieder nieder, und einem scharfen Auge wäre die Bemerkung nicht entgangen, daß diese Gleichgültigkeit nur eine scheinbare sei.
Schon wollte er sich mit den beiden Freunden entfernen, da trat Wanda auf ihn zu.
„Herr Winter, Sie haben mir das Leben gerettet; ich darf Ihnen also nicht grollen.“
„Eine von der Höflichkeit gebotene oder durch die Dankbarkeit erzwungene Verzeihung kann nur den Oberflächlichen befriedigen. Sie haben das Recht, mir zu zürnen, und ich bitte Sie, auf dieses Recht nicht Verzicht zu leisten. Ich bin nicht schwach genug, um vor einer bloßen Gesinnung zu zittern.“
„Gut, so werde ich zürnen, bis Sie selbst mich um Verzeihung bitten.“
„Das werde ich tun, sobald ich die Gewißheit habe, daß der Sünder nicht aus bloßer Dankbarkeit begnadigt wird.“
„Wenn die Verzeihung Ihnen überhaupt einmal wünschenswert sein könnte, so würden Sie jetzt nicht ein so großes Verlangen nach meinem Zorn geäußert haben.“
„Der Zorn kann nicht größer sein als seine Begründung, und diese ist wohl nicht von sehr erschreckenden Dimensionen.“
„Und doch; oder soll ich gleichgültig dazu sein, daß Sie meine Schuld ohne meine Erlaubnis quitt gemacht haben dadurch, daß Sie sich nach Belieben Ihren Lohn wählten und ihn in Empfang nahmen ohne meinen Willen und noch ehe Ihr Werk beendet war?“
„Ist's möglich, Fräulein, Sie zürnen mir nicht meiner Schwachheit wegen, sondern deshalb, weil wir nun quitt sind?“
„Ich zürne!“ erwiderte sie errötend, indem sie eine verabschiedende Handbewegung machte. „Über den wahren Grund dürfen Sie nachdenken.“
Sie schritt in Begleitung ihrer Mutter und des Barons dem Wagen zu, während Winter zu Gräßler und Thomas zurücktrat.
„Was wird denn nun mit dem Seil, Emil?“
„Die Leute mögen es losreißen; der Keil wird mehr als die Schwere einiger Menschen nicht tragen.“
„Na, das können se ooch ohne uns machen, Emil. Da kommt der Stadtrichter und wirklich schon zwee Polizisten hinter ihm.“
Der Genannte trat zu den dreien und richtete seine Fragen besonders an Winter, welcher ein einfaches Referat des Sachbefundes gab, ohne sich auf Schlüsse oder Verdachtserklärungen einzulassen.
Am Schluß der Unterredung bat der Vater der Stadt um Verschwiegenheit und gab die Erklärung, die Sache sofort der Staatsanwaltschaft zu übergeben. Dann verabschiedete er sich von ihnen.
„Da wird unser Special in eene schöne Patsche geraten. Ich werde mein Möglichstes tun, ihn in Trab zu bringen.“
„Man muß vorsichtig sein, Anton. So klar ich mir in dieser Beziehung auf meine Ansicht bin, so hüte ich mich doch vor einem lauten, voreiligen Urteil. Wir haben unsere Pflicht getan; das übrige ist nicht unsere Sache.“
„Warum gucktest du denn seinen Rock off so 'ne eigentümliche Weise an?“
„Der Name, welcher inwendig am Kragen sich befand, fiel mir auf.“
„Ach so! Das is die neue Mode. Wenn een Schneider nur halbwegs vierteljährlich drei alte
Weitere Kostenlose Bücher