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40 - Im fernen Westen

40 - Im fernen Westen

Titel: 40 - Im fernen Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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doppelt, und das is gescheit; er könnte sonst an den Steenen gescheuert werden. Gebt das Seil her; wir wollen es anschlingen!“
    Es geschah, und bald darauf wurde es in die Höhe gezogen.
    Dann wurde das Gestrüpp ausgerissen und heruntergeworfen, und nun konnte man die beiden oben stehen sehen. Das Mädchen hatte das Oberkleid hosenartig zusammengeschlagen und ließ sich furchtlos an dem Rand des Abgrunds nieder.
    Sie hatte sich das Seil um den Leib befestigt und stand mit den Füßen in einer Schlinge, welche ihr sicheren Halt gewährte. Die Hände hatte sie sich zur notwendigen Abwehr gegen den Felsen frei gehalten. Jetzt drehte sie sich gegen die Wand und hing im nächsten Augenblick frei in der Luft.
    Winter stand mit vorgestemmtem Beine und zurückgebogenem Oberkörper am Eingang der Höhle und hielt mit kräftiger Hand das Seil, an welchem sie niederschwebte.
    Langsam und vorsichtig griff sie, jede Umdrehung vermeidend, sich abwärts, und wenn sich auch ihren zarten Händen die Spuren der ungewohnten Berührung mit dem harten und scharfen Gestein einprägten, so kam sie doch nach kurzer Zeit sicher und wohlbehalten unten an, wo sie mit schallendem Jubelruf empfangen wurde.
    Sie aber wehrte die stürmischen Freudenbezeugungen von sich ab und wies, nachdem sie sich von den Schlingen befreit hatte, empor zur Höhe, in welcher Winter sich eben anschickte, nachzufolgen.
    Das Niederturnen war bei weitem nicht so gefahrvoll wie das Emporklimmen, und so langte auch er unverletzt auf dem Boden an. Fast, freilich, hätte er ihn nicht erreicht; denn kaum war er ihm nahe, so streckten sich auch ein Dutzend Arme aus, ihn zu empfangen, und die stürmisch erregte Menge machte alle Anstalt, ihn auf die Schultern zu heben und im Triumph nach Hause zutragen. Er aber machte sich mit einer energischen Bewegung frei und brach sich durch die Umstehenden Bahn, um zu Wanda zu gelangen.
    „Sind Sie beschädigt, Fräulein?“
    „Ich danke, nein.“
    „So gestatten Sie mir den herzlichsten Glückwunsch. Für eine Dame war die Fahrt nicht ganz unbedenklich.“
    „Das schwache Geschlecht ist zuweilen weniger zaghaft, als das sogenannte starke. Man entledigt sich einfach des Rockes und hat damit seine Pflicht natürlich in ihrem vollsten Umfange erfüllt. Nicht wahr, Mama?“
    Die alte Dame war mit dem Baron herzugetreten, und letzterer hatte die ihm geltenden Worte vernommen.
    „Du darfst nicht ungerecht sein, Wanda! Der Herr Baron kam, als die befriedigendsten Anstalten zu deiner Rettung bereits getroffen waren. Zur unmittelbaren Teilnahme an dem Wagnis war es für ihn also zu spät.“
    „Herzlichen Dank für die freundliche Verteidigung, gnädige Frau. Ich wünsche nichts mehr, als daß es mir an Stelle eines Fremden vergönnt gewesen sein möchte, meiner Braut den Beweis zu liefern, daß ich in ihrem Dienst weder Gefahr noch Tod scheue.“
    „Ich hege die vollständige Überzeugung“, entgegnete Wanda, und ihre Stimme hatte eine fast schneidende Schärfe, „daß du in bezug auf meine Person eine kleine Gefahr nicht scheust. Und hätte ich bisher diese Vermutung auch nicht gehegt, so würde dieser unerwartete Fund mich eines Besseren belehren.“
    Sie hielt ihm ein weißes Taschentuch entgegen, an dessen Stickerei er es sofort als das seinige erkannte.
    Bis hinter die Schläfe erbleichend, streckte er die Hand danach aus; sie aber zog es rasch zurück.
    „Du erlaubst mir wohl, dieses freundliche Souvenir in meine eigene Verwahrung zu nehmen?“
    „Ein so wertloser Gegenstand kann unmöglich Bedeutung für dich haben.“
    „Unter gewöhnlichen Umständen allerdings nicht. Der heutige Tag aber zeigt uns eine so eklatante Romantik, daß für mich selbst das sonst Wertloseste große Bedeutung enthält.“
    „Höchstwahrscheinlich habe ich das Tuch bei meinem Morgenspaziergange verloren.“
    „Möglich. Doch willst du nicht Mama sekundieren? Es ist jedenfalls deine Pflicht, meinem Retter ein Wort der Anerkennung zu sagen!“
    Die Baronin hatte sich mit ungewöhnlicher Herzlichkeit zu Winter gewandt. Aber obgleich er ihren überraschend wohlwollenden Äußerungen mit Aufmerksamkeit folgte und mit Gewandtheit auf ihre Redewendungen einging, so war er doch der einzige, dem keine Silbe des Gespräches zwischen den beiden Verlobten entgangen war. Diese traten jetzt näher, und der Baron versuchte, seinen Worten die größtmögliche Freundlichkeit zu geben.
    „Herr Winter, ich ergreife mit Freuden die Gelegenheit, mich Ihnen zu

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