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40 - Im fernen Westen

40 - Im fernen Westen

Titel: 40 - Im fernen Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hatte.
    Längst schon hatte er den sehnlichen Wunsch gehegt, ihm dienen, ihn unterstützen zu können; aber bei der Ungleichheit ihrer Stellungen und der weiten Entfernung ihrer gegenseitigen Wohnorte war ihm das eine Unmöglichkeit gewesen. Jetzt nun schien sich eine treffliche Gelegenheit dazu zu bieten, und er beschloß, sie zu benutzen.
    Langsam griff er zur Feder, legte in Gedanken die vorliegenden Verhältnisse noch einmal zurecht und begann dann, einen ausführlichen Bericht nebst der klaren Darstellung seiner Vermutungen aufzuzeichnen. Als er geendet hatte, überlas er das Geschriebene noch einmal und meinte dann mit einem Lächeln, in welchem sich das wohltuende Gefühl der Hoffnung aussprach:
    „So, das wäre der Anfang. Gott gebe, daß es ein Gelingen hat und ihm Erfüllung seiner Wünsche bringt.“

Auf der Fährte
    Es läutete zum dritten Male, und die drei Schläge der Perronglocke gaben das Zeichen zum Schließen der Waggons. Eine schrillpfeifende Anfrage des Maschinisten, ob alles zur Abfahrt fertig sei, wurde in bejahender Weise durch das Signal des Zugführers beantwortet, und nach einigen tiefen Atemzügen der Lokomotive setzte sich die lange Wagenreihe in Bewegung.
    „Halt“, rief ein jetzt herbeistürzender Passagier, welcher sein Coupé zweiter Klasse auf einige Zeit verlassen hatte und es nun nicht mehr erreichen konnte. „Nok will auk ik mit!“
    „Springen Sie schnell hierherein!“ rief ihm der nächste Schaffner zu, indem er eine Tür öffnete.
    Mit einem Sprung stand der Verspätete im Coupé und befand sich einem jungen Mann gegenüber, welcher als alleiniger Besitzer des Raums die Größe desselben benutzt und sich lang auf die Bank hingestreckt hatte.
    „Fi donc! Hier ist nicht su sein agréable. Mak Sie su der Fenster. Ich bin gesprung', daß Schweiß marschier über meine ganze Leib.“
    Der Daliegende war bei dem ersten Anblick des Fremden in halber Überraschung in die Höhe gefahren, hatte sich aber sofort mit einem Lächeln ironischer Befriedigung wieder niedergelegt und die Worte scheinbar überhört.
    „Nun, was lieg' Sie da und geb nicht Folge? Hab' Sie nicht verstanden meinen Befehl?“
    „Hèlas! Wo'er hab' Sie die Rekt, su geb' mir einen Befehl?“
    „Ah! Sie sind auk ein Franzos?“
    „Bitte, bitte, Herr Professor“, rief der Banklagernde lachend. „Geben Sie sich doch nicht die, wenigstens bei mir, vergebliche Mühe, für einen Franzosen zu gelten. Sie radebrechen ja Ihre Gallicismen mit wahrhaft halsbrecherischer Schülerhaftigkeit.“
    „Wie – wieso? Oder vielmehr, wie meinen Sie das?“ stotterte der ‚Professor‘ Genannte verdutzt.
    „Ich will“, antwortete der jetzt nur noch lauter Lachende, „Ihnen das Unangenehme des jetzigen Augenblicks durch das Geständnis kürzen, daß wir alte Bekannte sind, welche sich voreinander nicht zu maskieren brauchen.“
    „Alte Bekannte? Woher denn?“ fragte der andere, sich setzend, während der junge Mann sich nun erhob, um das Fenster zu schließen.
    „Wir hatten vor einiger Zeit beide das Unglück, zwischen den Mauern des Bicêtre eingeschlossen zu sein. Was mich betrifft, so war ich allerdings nicht nach Paris gekommen, meinen Wechselstudien eine in der Gefängniszelle endende Richtung zu geben. Und auch Sie werden sich ungern jener unangenehmen Zeiten erinnern. Doch mußte ich diese Bemerkung machen, um Sie durch den Beweis unserer Bekanntschaft vor neuen grammatikalischen Schnitzern sicher zu stellen.“
    „Im Bicêtre waren Sie? Ich erinnere mich nicht, Sie gesehen zu haben.“
    „Bei der großen Zahl der Gefangenen ist es dort sehr leicht möglich, ein Gesicht zu übersehen. Desto vertrauter freilich bin ich mit Ihren Verhältnissen.“
    „Ich zweifle.“
    „Ohne Grund. Ich hatte in der Schreibstube Beschäftigung, und Ihre Akten, welche mir dabei in die Hände kamen, haben mir ein sehr lebhaftes Interesse für Ihre Person eingeflößt, und als Sie dann so plötzlich –“
    „Halten Sie ein. Es ist nicht notwendig, von Dingen zu sprechen, welche mich ganz und gar nichts angehen. Sie verkennen mich.“
    „Wohl nicht, Herr Professor. Wen ich einmal gesehen, den kenne ich noch nach Jahren sicher wieder, und überdies sprechen Sie jetzt plötzlich ein sehr reines Deutsch. Beweis genug, daß Sie der nicht sind, für den Sie gelten wollen. Also erlauben Sie mir, meinen unterbrochenen Satz zu Ende zu führen?“
    „Ich wünsche es nicht.“
    „Warum nicht? Wir sind hier vollständig unter uns, und

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