40 Stunden
allem die Fragezeichen inzwischen massiv vermehrt hatten. Der Unbekannte schien kurz vor der Pensionierung zu sein. Faris schätzte ihn auf über sechzig. Seine Haare waren grau. Er drehte einen dicken blauen Filzstift in den Fingern, aber schien mit den Gedanken weit weg zu sein, denn sein Blick war nachdenklich aus den Dachfenstern gerichtet.
Paul telefonierte, und seinen Worten nach zu schließen, sprach er mit Marvin Andersen. Er hatte der Tür den Rücken zugekehrt, und so war es Tromsdorff, der Faris zuerst entdeckte. Er nickte ihm zu, doch bevor er etwas sagen konnte, rief Ben: » Mist!«
Alle Blicke richteten sich auf ihn. Er wies auf den Flatscreen, auf dem die Berichterstattung über die Bombe im Park jetzt von einer anderen Meldung abgelöst worden war. » Mach mal einer ’n bisschen lauter!«, rief er und schob seine Tastatur von sich.
Gitta kam seiner Aufforderung nach. Die Stimme eines Reporters füllte den War Room. » …stehe ich hier an der Gedächtniskirche, wo es im Zuge der Bombenexplosionen zu ersten Ausschreitungen gekommen ist.« Die Kamera schwenkte auf eine Gruppe von vierzig oder fünfzig Menschen, die sich vor der Ruine der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kirche versammelt hatten und Plakate hochhielten, auf denen eine Teufelsgestalt einen Abendmahlkelch umklammert hielt.
Paul legte auf. » Die Erzkatholen versammeln sich«, kommentierte er trocken.
Faris kannte das Bild auf den Plakaten, denn es hatte bereits im Vorfeld des Kirchentages immer wieder vereinzelte Demonstrationen von konservativen Katholiken gegeben, die das gemeinsame Abendmahl mit ihren evangelischen Glaubensbrüdern verdammten. Diese Kundgebung hier jedoch hatte einen ganz anderen Charakter als die ruhigen, mit Gesängen und Gebeten untermalten Versammlungen bisher. Diesmal wirkten die Demonstranten zornig und gewaltbereit.
Noch einmal schwenkte die Kamera über die aufgebrachte Menge und zoomte dann auf einen Mann, der einen schwarzen Priesterrock trug und in ein Mikrofon sprach. » Wir sehen jetzt, was geschieht, wenn wir dem Teufel den Abendmahlskelch reichen!«, donnerte er gerade. » Unsere heilige katholische Kirche droht in einem Flammenmeer unterzugehen, und wir…«
Faris wurde von dem Beitrag abgelenkt, weil sich die Tür desKonferenzraums öffnete und Dr. Geiger hereinkam. Sie begrüßte zuerst den älteren, Faris unbekannten Kollegen. » Meine Herrschaften«, wandte sie sich dann mit lauter Stimme an die versammelte Mannschaft. » Ich sehe, Sie sind bereits über die neuesten Vorgänge in der Stadt informiert. Wir…« Ihr Blick fiel auf Faris, und sie unterbrach sich. » Herr Iskander.« Es war deutlich, dass ihr seine Gegenwart nicht in den Kram passte, aber sie biss die Zähne zusammen und sagte widerstrebend: » Gut, dass Sie da sind! Der Bombenleger hat uns unmissverständlich klargemacht, dass er Sie im Team haben will.«
Faris verkniff sich einen sarkastischen Kommentar.
» Haben Sie eine Idee, warum das so ist?«, fragte Geiger.
Faris zuckte die Achseln. » Gab es neue Opfer?«, erkundigte er sich, statt ihr zu antworten.
» Ein Obdachloser«, informierte der ältere Beamte ihn.
» Faris, das ist KOK Friedrich Gerlach«, stellte Tromsdorff den Mann vor. » Er ist unser Verbindungsmann zu Andersen und seinen Leuten.«
Gerlach nickte Faris stumm zu. Bis auf die beiden Worte eben hatte er noch nichts weiter gesagt, und er schien es dabei belassen zu wollen.
Geiger sank auf einen der Stühle. Sie sah angegriffen aus– erschöpft und auch ein wenig erschüttert.
Faris erinnerte sich an seine eigenen Schuldgefühle nach der Bombenexplosion im Museum. » Sie haben nicht auf den Auslöser gedrückt«, sagte er leise, ohne darüber nachzudenken.
Von seinem Platz aus warf Paul ihm einen langen bedeutungsvollen Blick zu. Faris tat so, als bemerke er es nicht.
Dr. Geiger starrte ihn an. » Natürlich nicht«, sagte sie spitz. » Wie kommen Sie nur auf die Idee?«
Faris schluckte eine Erwiderung hinunter und sah Paul an. Sein Partner zuckte die Achseln.
» Also gut.« Tromsdorff hob die Arme und lenkte damit die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich. » Der Anrufer hat sich wieder gemeldet. Um kurz vor fünf. Er hat nach dir verlangt, Faris, und ist ziemlich sauer geworden, als wir ihm sagen mussten, dass du nicht mehr im Team bist.« Er bedachte Geiger mit einem nachdrücklichen Blick, doch in deren Gesicht waren keinerlei Emotionen abzulesen. So undurchdringlich und kühl wie immer
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