40 Stunden
Verstehe.« Paul betrachtete das Foto auf dem Display seines Handys und schickte es dann an Gitta.
» Ich nicht«, gab Faris zu.
Ira wies auf die Seile. » Der Maler argumentierte so: Damit die alten Prophezeiungen von Jesaja sich in Christi Tod erfüllten, war es zwingend notwendig, Jesus die Nägel durch die Hände zu schlagen. Schließlich schreibt der Prophet: Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet. Gott hat also gewollt, dass die römischen Soldaten Christus die Nägel durch die Hände treiben. Anatomisch jedoch ist es nicht möglich, jemanden so zu kreuzigen. Die Hände würden ausreißen. Da das bei Christus aber nicht geschehen ist, meinte jedenfalls der Künstler, sei das als Hinweis darauf zu verstehen, dass man ihn zusätzlich mit Seilen befestigt hat.« Sie lächelte erneut, diesmal wirkte es nicht mehr so traurig, dafür seltsam sarkastisch.
Faris begriff. » Und das hat den Kirchenvorstand überzeugt, das Bild aufzuhängen?«
Iras Lächeln verblasste. » Vermutlich eher die dreißigtausend Euro, die man für das Bild ausgegeben hatte, aber egal! Soweit ich weiß, hat der Maler nach dem ganzen Theater nie wieder einen Auftrag der Kirche angenommen.«
Faris und Paul sahen sich an. » Könnte dieser Maler unser Täter sein?«, fragte Paul.
Doch Ira machte diese Hoffnung sofort zunichte, indem sie den Kopf schüttelte. » Er ist vorletztes Jahr gestorben.«
Faris runzelte nachdenklich die Stirn. » Wir werden seine Familie durchleuchten. Und wenn er wirklich nie wieder einen Kirchenauftrag angenommen hat, gibt es kein zweites Bild dieser Art. Was wiederum bedeutet, dass wir unseren Täter unter den Besuchern dieser Kirche finden, selbst wenn es nicht Alexander sein sollte.« Er nickte Ira zu. » Das ist gut. Sie haben uns damit sehr geholfen.«
Das grausame Foto auf dem Handy von Kommissar Iskander ging Ira nicht aus dem Kopf. Wieder und wieder sah sie Werner Ellwanger vor sich, gekreuzigt wie Jesus Christus. Herr im Himmel! Ihr Magen wollte sich umdrehen, allein bei dem Gedanken daran.
Nachdem der ältere der beiden Polizisten, Kommissar Sievers, das Gemälde in ihrer Kirche mit seinem Handy fotografiert und das Bild an seine Kollegen geschickt hatte, rief er bei ihnen an und berichtete, was Ira ihnen eben erzählt hatte. Danach baten die Polizisten Ira, nun mit ihnen aufs Revier zu kommen.
Sie lief schnell ins Pfarrbüro, um ihre Handtasche zu holen. » Ich bin so weit«, sagte sie anschließend zu Kriminalkommissar Sievers.
» Gut.« Er hatte vor dem Büro auf sie gewartet, während Kommissar Iskander bereits vorausgegangen war.
Ira folgte dem Polizisten nach draußen zu einem dunklen BMW mit Blaulicht auf dem Dach. Der Anblick verursachte ihr ein Kribbeln im Magen. Sie hatte noch nie in einem Polizeifahrzeug gesessen, und obwohl sie nur Zeugin war, fühlte sie eine gewisse Anspannung, als sie sich dem Fahrzeug näherte.
Ihr Blick fiel auf Kommissar Iskander, der an der Beifahrertür stand und sie für sie öffnete.
Thomas hatte ihr auch immer die Tür aufgehalten …
Ihr Schritt stockte bei diesem Gedanken. Schon in der Sekunde, als sie den jungen Kommissar gesehen hatte, hatte sie diesen Anflug von Irritation verspürt. Seine Augen! Sie schienen denen ihres ehemaligen Geliebten so ähnlich! Jetzt, im Abendlicht, verstärkte sich dieser Eindruck noch, und Ira wurde bewusst, woran das lag: Beide Männer hatten diesen speziellen Ausdruck. Bei Thomas hatte sie ihn zum ersten Mal wahrgenommen, als sie begriffen hatte, dass er sie verlassen würde. Lange bevor er sich das selbst eingestanden hatte, hatte sie gewusst, dass er gehen würde. Seine Augen hatten es ihr verraten, dieser Ausdruck von Ausweglosigkeit in ihnen.
Und jetzt entdeckte sie genau das auch in Kommissar Iskanders Blick.
Reiß dich zusammen!, ermahnte sie sich und lächelte ihn an, während sie Platz nahm. Er lächelte zurück, doch das Lächeln erreichte seine Augen nicht. Die leicht machohafte Art, mit der er sie behandelte, war ihr zu gleichen Teilen angenehm und unangenehm, und die Verletzungen in seinem Gesicht, die Platzwunde an der Stirn und die aufgerissene Lippe, verstörten sie zusätzlich.
Während er in den Fond stieg, fragte sie sich, wie er sich beides wohl zugezogen hatte. Sie überlegte, ob sie ihn einfach fragen sollte, nur um ein Gespräch in Gang zu bringen. Aber sie kam nicht dazu, denn Kommissar Sievers setzte sich hinter das Steuer und begann schon während der Fahrt, ihr sehr gezielte Fragen
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