41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
Zorn war ihr zu anstrengend und sie hatte lange genug Hendriks Hilfsbereitschaft und Loyalität an Luc abgedient. Irgendwann musste Schluss damit sein, aber die Entwicklung im Fall der vermissten Männer und die Neugier des Ermittlungsleiters engten momentan ihre Handlungsmöglichkeiten ziemlich ein. Sie würde geduldig sein und den richtigen Zeitpunkt abwarten müssen. In der Zwischenzeit konnte sie aber die Vorbereitungen für ihr neues Leben weiter vorantreiben, vielleicht sogar abschließen. Es war gut möglich, dass ihre Abreise nicht wie geplant am Tag nach ihrem sechzigsten Geburtstag im Dezember stattfinden konnte, sondern dass sie früher und vor allem unverzüglich aufbrechen musste. Sie wollte kein Risiko eingehen, alles musste wie am Schnürchen klappen und würde es auch. Seit Jahren feilte sie an ihrem Plan, hatte Vorkehrungen und Maßnahmen getroffen, die es ihr ermöglichen würden, sich vor aller Augen in Luft aufzulösen, um an einem anderen Ort dieser Welt wieder zu erscheinen. Ein Zauberkunststück, das für die meisten Illusion war und auch kaum gelang, für sie aber Realität werden würde.
Als das Wasser langsam auskühlte, wickelte sie sich in ihren Bademantel, schlüpfte in Wollsocken, stellte den Wäschetrockner an, schenkte sich Rotwein nach und begab sich in das Gästezimmer. Von dort führte eine breite Türe nicht nur in die Töpferkammer (für die Aufstellung und den Transport des Brennofens hatte der Türrahmen extra verbreitert werden müssen), hinter einer zweiten, weniger breiten Türe lag die von ihren Freunden heißbegehrte Folterkammer mit Peitschensortiment, Hand- und Fußfesseln, Schlagketten, Streckbank und – dem absoluten Lieblingsstück ihrer Gäste und gegen Aufpreis jederzeit gerne buchbar – einer funktionstüchtigen Guillotine, deren poliertes Fallbeil im trüben Licht der geschwärzten Glühbirnen funkelte und glänzte.
Louise betrat ihren, wie sie es gerne nannte, Vorhof zur Hölle, würdigte die Ausstattung keines Blickes, sondern öffnete eine imposante Glasvitrine, in der ihre schwarzen Lederkorsagen, Strangulationswerkzeuge und Instrumente aller Art ausgestellt waren, unter denen ihre Freunde auswählen konnten, bevor sie sich damit von ihr quälen ließen.
Sie nahm ein spezielles Lederkorsett von einem der Fleischerhaken, das mit Schnüren und Karabinern so eng gezurrt werden konnte, dass sie darin problemlos ihren kleinen Laptop aufbewahren konnte, ohne dass er verrutschte. Wenn Kunden nach diesem Korsett verlangten, schlug sie schamhaft die Augen nieder und beteuerte kleinlaut:
„Dieses stammt noch aus der Zeit, als ich jung und gertenschlank war. Ich bewahre es nur aus Sentimentalität auf. Aber ich hätte ein anderes, grausameres anzubieten.“ Alleine die Aussicht auf noch mehr Grausamkeiten ließ ihre Männer das zierliche Korsett auf der Stelle vergessen, der Laptop war nirgends so sicher wie in seinem Inneren.
Sie trug die außergewöhnliche Laptoptasche ins Schlafzimmer, richtete sich auf ihrem Bett behaglich ein und startete den Computer.
Sie hatte noch E-Mails zu lesen, ihre Flugzeiten zu überprüfen und den Stand ihres Sparkontos auf St. Martin, einer bedeutungslosen Insel der niederländischen Antillen, zu aktualisieren. Außerdem gingen die silbernen Schokobonbons zur Neige und es mussten zusätzlich dringend wieder welche mit goldener Zellophanhülle bestellt werden. Choco4bons.com lieferte ihre online-Bestellungen, auf ausdrücklichen Wunsch und gegen Aufzahlung in romantischer Geschenkverpackung, innerhalb von vierundzwanzig Stunden an die Adresse von Hendrik van de Poort aus. Dort empfing sie Hendriks (und Louises) treuer Chauffeur, bezahlte per Nachnahme und überbrachte sie persönlich Louise, die sich herzlich mit einer auf fünfzehn Minuten gekürzten Variante der von ihm leidenschaftlich begehrten Bondage-Attraktion für seine Bemühungen bedankte.
Marcel
Marcel kaute noch immer an seinem Tartarebrötchen, als er schon längst wieder auf der Straße stand. So schnell und eindeutig war er noch nie vor die Tür gesetzt worden. Um seinen Gedanken ein wenig in Ruhe nachhängen zu können (und um das Eingangstor von Louises Haus noch ein wenig im Auge zu behalten), beschloss er, sich in das Cafè auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu setzen und zu betrinken.
Er begann mit Bier, später verfeinerte er den malzigen Geschmack mit gewöhnlichem Schnaps.
Sein Besuch bei Louise hatte keinerlei Erfolg gebracht. Weder dienstlich
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