41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
Männer war Verlass. Sie arbeiteten präzise und es war nahezu auszuschließen, dass sie irgendetwas von Belang übersehen haben konnten. Dennoch überfiel ihn plötzlich das Bedürfnis, seine kriminalistischen Fähigkeiten, mit denen er ja schließlich reichlich gesegnet war (wie sonst hätte er es bis zum Polizeipräsidenten gebracht?), zum Einsatz zu bringen. Es konnte nicht schaden, hier ein wenig herumzuschnüffeln und jetzt bot sich eine einmalige Gelegenheit dazu.
Vielleicht würde er einen durchschlagenden Erfolg erzielen, ein belastendes Indiz zu Tage fördern. Dann könnte er immer noch entscheiden, Louise davor zu verschonen und sie zu beschützen (was ihm zweifellos Heldentum und eventuelle Preisnachlässe auf Lebenszeit bei ihr einbringen würde) oder Marcel zu informieren und den Dingen ihren unvermeidlichen Lauf zu lassen. Beide Möglichkeiten verursachten ihm ein saures Brennen in seinem Magen. Doch die Neugier siegte.
Er begann in Louises privatem Schlafzimmer, weil er davon ausging, dass sie am ehesten in diesem Raum etwas Verdächtiges verbergen würde. Er schüttelte die Bettwäsche aus, hob die Matratzen an, öffnete Schubladen der Nachtischchen und durchsuchte flüchtig ihren meterlangen Kleiderschrank. Doch außer einigen Tüten ihres Kosmetiksalons, in denen sie Schuhschachteln zu horten schien, gab es nichts Interessantes zu finden. So durchkämmte er Raum für Raum, bis er letztendlich in Louises Folterkammer gelangte. Da er sich selbst keineswegs Nachlässigkeit zum Vorwurf machen wollte, kniete er sich auf den Boden (er musste sich dabei mit den Händen seitlich abstützen, auch ihn verschonte das Alter nicht), um den spärlichen Raum unter dem überbreiten Bett, der Guillotine und der Vitrine zu inspizieren.
„Darf ich fragen, was du hier tust?“
In seinem Eifer hatte er überhört, dass Louise zurückgekommen war. Umständlich kroch er unter dem Bett hervor und suchte stammelnd nach einer halbwegs glaubwürdigen Ausrede für sein peinliches Verhalten.
„Ja, … also, … ich dachte, ich sehe mich selbst einmal bei dir um, weil, … denn, … dann, … es ist sicher von Vorteil für dich, wenn der Polizeipräsident persönlich sich von deiner Unschuld bis ins kleinste Detail überzeugen konnte“, schloss er lahm seine verworrenen Erklärungsversuche.
Louises Katzenaugen verengten sich zu schmalen Schlitzen, zwischen ihren Augenbrauen entstand eine tiefe Falte.
„Ich danke dir für dein Vertrauen. Würdest du jetzt bitte mein Haus verlassen?“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen und schmalen Lippen wütend hervor.
Pricard hob beschwichtigend beide Hände.
„Louise, bitte, ich …“
„Würdest du jetzt bitte mein Haus verlassen?“, wiederholte sie langsam, jedes Wort langgezogen und einzeln betonend.
„Aber ich wollte dir nur helfen! Louise, wir müssen …“
„Würdest du jetzt bitte mein Haus verlassen?“ Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, ging sie vor ihm ins Gästezimmer. Dort sammelte sie seine Schuhe, Krawatte und Jacke ein, drückte ihm das Bündel in die Hände und flüsterte theatralisch mit Tränen in den Augen: „Du glaubst mir nicht. Du schnüffelst mir hinterher. Diese ungeheuerliche Kränkung werde ich dir niemals verzeihen. Geh jetzt.“
Pricard schluckte schwer, ihm fiel zu seiner Verteidigung nichts mehr ein und er war betroffen. Er verließ die Wohnung und schlüpfte im Treppenhaus in seine Schuhe und band sich ohne Spiegel die Krawatte. Trotz der sommerlichen Hitze zog er auch seine Uniformjacke wieder an und aus alter Gewohnheit griff er in alle Taschen, um zu überprüfen, ob Geldbörse, Dienstmarke und Schlüssel an ihren üblichen Plätzen waren. In der rechten Außentasche ertasteten seine Finger den großen Geldschein, den er noch keine Stunde zuvor unter Louises Keramikschale hinterlassen hatte. Sie wollte sein Geld nicht mehr.
Bedrückt stieg er die Treppen hinab, der altmodische Türknauf des Tors fühlte sich in seiner Hand schwer und kalt an. Er zog daran, das Tor öffnete sich einen Spalt, greller Sonnenschein flutete in den dunklen Gang und das gleißende Licht blendete ihn, sodass er kurz die Augen schließen musste.
Genau in diesem Augenblick durchzuckte ihn ein Gedanke, der ihm den Atem stocken und das Herz schwer werden ließ: Er hatte sich Louises Zorn zugezogen. War er womöglich der Nächste?
Louise
Louise drückte die Tür hinter Pricard nachdrücklich ins Schloss und beobachtete durch den Türspion, wie
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