41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
ihn bei ihrem Geruch überfiel und legte einige Münzen auf die verschmutzte Tischplatte.
Sie sah kurz auf.
„Na, Jüngelchen, dachte schon, du hättest zu viel Schiss“, krächzte sie.
Mathis nickte, antwortete aber nicht.
Sie griff mit zitternden Fingern nach den Münzen und ließ sie rasch unter ihren Lumpen verschwinden.
„Sie war ein verdammt hübsches Ding, damals, eure Louise. Aber ich glaube nicht, dass das ihr richtiger Name ist“, begann sie mit undeutlicher Stimme.
„Nein? Wie hieß sie denn?“
„Weiß nicht, ist nur so ein Gefühl von mir.“
„Wo haben Sie sie gesehen? Was hat sie gemacht?“, fragte Mathis unbeholfen. Es war seine erste Vernehmung, die er im Alleingang durchführte und er war verunsichert und wusste nicht genau, welche Fragen sinnvoll waren oder was er überhaupt in Erfahrung bringen sollte.
Die Alte schwieg.
Er legte einen kleinen Geldschein auf den Tisch.
„Sie kam manchmal mit einem Karren zum Kai und verkaufte dort ihre Sachen. Die ganze Sippe war immer dabei.“
„Das ist nicht neu, das wissen wir schon.“ Mathis ärgerte sich, dass sie versuchte, ihn über den Tisch zu ziehen. Er griff nach dem Geldschein, doch sie war schneller und riss ihn an sich.
„Schon gut, schon gut, Kleiner. Sie hatte ein Kind.“
„Ein Kind? Wie alt? Hatte sie es am Kai dabei? Wo ist es jetzt?“ Freudige Erregung überkam Mathis, er hatte mit seiner Befragung einen ersten Erfolg erzielt.
„Ich hab‘s nie gesehen, aber ich weiß, dass sie eins geboren hat.“ Die Alte hielt ihm unverhohlen ihre Hand hin. Mathis zog zwei weitere Geldscheine aus seiner Tasche und legte sie ihr in die offene Hand.
„Unsere Chefin hat sie gefunden, damals. Blutend am Hafen. Hat sie mit hierher genommen und aufgepäppelt. Die Milch ist ihr nur so aus der Brust geschossen. Nach ein paar Tagen hat sie ein Laster nach Paris mitgenommen. Die Chefin wollte nicht, dass sie hier blieb und uns das Geschäft versaute. Sie war zu schön. Muss an die vierzig Jahre her sein. Sind alle schon gestorben, die Chefin und so.“
„Und das Kind?“
„Wir haben‘s gesucht, in der Nacht noch, aber nix gefunden. Vielleicht hat sie‘s ja ins Meer geworfen. War uns auch egal. Hätte nur Probleme gemacht. Haben nie was darüber gehört.“
„Wer hat Louise nach Paris gebracht?“
„Irgendeiner von den Lasterfahrern, weiß nicht, wer.“
„Wissen Sie sonst noch irgendetwas über sie?“
„Nein, war froh, dass sie weg war. Spendierst mir noch ein Bier?“ Gierig beugte sie sich über den Tisch.
Mathis ahnte, dass die Alte nicht mehr wusste und was er mit den Informationen anfangen sollte, war ihm noch nicht klar. Er stand auf, ging zum Tresen, holte ein Bier und stellte es vor sie hin. Dabei versuchte er zu vermeiden, ihr allzu nahe zu kommen.
„Wenn du noch was brauchst, komm ruhig vorbei, mein Süßer. Bin immer da.“ Sie kicherte und Mathis fühlte beim Anblick ihrer verfaulten Zähne einen unangenehmen Kloß im Hals.
Dennoch nickte er ihr freundlich zu; wer weiß, vielleicht musste er ja doch irgendwann wieder kommen und sie um Hilfe bitten.
Zurück auf der Straße überlegte er, was nun zu tun war. Recht ergiebig schien ihm die ganze Geschichte nicht zu sein. Louise hatte am Kai ein Kind geboren, das niemand gesehen hatte und war kurz darauf nach Paris verfrachtet worden. Die Alte hatte wahrscheinlich recht, das Kind war bestimmt im Meer verschwunden. Er musste dringend präzise Notizen anfertigen und sich dabei noch einmal alles in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Keinesfalls wollte er sich mit einem verfrühten Anruf bei Marcel blamieren, er musste sich gut auf das Gespräch mit dem Ermittlungsleiter vorbereiten, um ernst genommen zu werden.
Es war halb fünf am Nachmittag, als er endlich aufgewühlt Marcels Nummer wählte, weil ihn seine Überlegungen zu der brisanten Schlussfolgerung geführt hatten, dass Louise die Mörderin ihres Kindes war.
Alette
Alette war äußerst besorgt und nervös. Seit Stunden versuchte sie, Louise zu erreichen, aber diese ging nicht ans Telefon. Nach langem Hin und Her und eingehenden Beratungen mit sich selbst war Alette zu der Überzeugung gekommen, dass sie Louise wegen Marcels gefährlicher Spekulationen unverzüglich warnen musste. Das bedingte, dass sie Louise gegenüber auch zugab, was sie über ihre Reisen wusste, dass sie diese aus dem System gelöscht hatte und sie musste ihr auch erklären, wie es dazu gekommen war. Ihre Idee, Louise mit einem
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