41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
Vollkommenheit zu erhalten. Ihr Brennofen hatte ein Fassungsvermögen von zwanzig mittelgroßen Schalen oder zwanzig kleineren Krügen. Zwanzig war ihre persönliche Höchstgrenze an Stammkunden, mit denen sie in einer Woche zu festen Zeiten arbeiten konnte, ohne dass sich einer von ihnen vernachlässigt fühlte. Dass zwanzig eines Tages auch die Zahl der Männer sein würde, die sie vom Leben befreite, hatte sie nie geplant; eher hatte sich diese Fügung zufällig ergeben.
Louise war mit ihren Reisevorbereitungen fertig, der Koffer lag gepackt und verschlossen auf ihrem Doppelbett im Schlafzimmer. Sie hatte lange geschlafen und den Tag mit einem ausgiebigen Frühstück – zusammengestellt aus den reichhaltigen Vorräten von Martas Kühlschrank – begonnen. Der Wein für Hendrik war zum Atmen geöffnet, die Schokobons lagen in ihrem eigenen, leer geräumten Kühlschrank parat.
Sie bereitete sich ein duftendes Schaumbad, nahm sich ein Glas von dem Rotwein, stellte eine kleine Schale mit Bonbons auf den Wannenrand und glitt in die seidigen Schaumberge. Das Telefon in der Diele schrillte. Sie würde heute keine Gespräche mehr annehmen oder Besucher empfangen und sich nicht stören lassen. Es war alles geregelt, nichts war mehr wichtig.
Eine wohltuende Ruhe erfasste sie, die sie selbst überraschte und ihre Gedanken schweiften müßig zu Marcel. Er lag mit seinen kühnen Mutmaßungen völlig richtig, nur mit den handfesten Beweisen gegen sie hatte er seine liebe Not. Allerdings stimmte sie mit Marcel weder in der Art des Verschwindens noch in der Anzahl der Männer überein. Marcel ging davon aus, dass sie die achtzehn Männer aus seinem Fotoalbum getötet hatte, aber das stimmte nicht.
Es waren nur dreizehn.
Von Jean, Nummer 11, wusste sie, dass er von langer Hand seinen Abgang nach Paraguay geplant hatte, weil er Anleger um ihre Treuhandfonds betrogen und deshalb erste Morddrohungen erhalten hatte. Offensichtlich war jemand erfolgreich gewesen, entweder er selbst (was sie sich für ihn wünschte, denn ihre Fonds waren bei ihm stets in wahrhaft treuen Händen gewesen) oder sein Mörder.
Ein anderer Mann, Nummer 5 in Marcels Kartei, hatte neben Louise noch eine andere Gespielin am Montmartre, mit deren Zuhälter er in einen Streit geraten war, aus dem er erst als endgültiger Verlierer hervorging und danach dezent in der Seine versenkt wurde. Zumindest hatte Louises Kollegin ihr dies so anvertraut, als sie sich zufällig in einer der modernen Galerien am Montmartre trafen.
In Louises Gegenwart waren insgesamt zwanzig Männer verstorben, rechnete man Hendrik und Luc bereits mit ein.
Doch nicht bei allen war sie aktiv an ihrem Tod beteiligt. Schließlich war sie keine psychisch kranke Serienmörderin oder mordete wahllos aus Eifersucht oder Geld- und Habgier. Auch hatte sie immer darauf geachtet, dass ihre Männer mit Hilfe der präparierten Schokoladenbons sanft und schmerzlos in die andere Welt gleiten konnten. Dass sie über eine hausinterne Feuerbestattung verfügte, hatte ihr das Leben dabei enorm erleichtert und sie legte auch besonderen Wert darauf, dass jeder Mann in seinem eigens für ihn angefertigten Urnenkrug nach Anchieu gebracht wurde, wo er unter prachtvoll blühenden Blumen seine letzte Ruhe fand.
Bis auf den brutalen Zuhälter seinerzeit, den sie mutterseelenalleine zur Mülltonne im Hinterhof geschleppt hatte und Alettes wahnsinnigen Kunden. In diesen unglücklichen Fällen hatte sich ein wenig Blut leider nicht vermeiden lassen. Diese beiden hatten die Mühen auch nicht verdient und tauchten ohnehin nicht in Marcels Protokollen auf, dazu war schon viel zu viel Zeit vergangen.
Drei ihrer betagten und treuesten Kunden (mit den Nummern 3, 8 und 15) waren während der Sprechstunden bei ihr einem schwachen Herzen erlegen. Die aufregenden Momente unter der Guillotine hatten ihnen wohl mehr geschadet als Freude bereitet. Doch gab es einen wunderbareren Augenblick zum Sterben?
Zwei (Nummer 2 und 16) ihrer liebsten Freunde waren von Krankheiten so schwer gezeichnet gewesen, dass sie Erbarmen mit ihnen gehabt und sie von ihrem Leiden erlöst hatte. Bei elf (alle restlichen Nummern in Marcels Katalog) ihrer Kunden jedoch musste sie sexuelle Neigungen feststellen, die Louise mit fassungslosem Entsetzen und maßloser Abscheu erfüllten. Diese Männer fühlten sich zu jungen Kindern beiden Geschlechts nicht nur hingezogen, sondern schändeten ihre Töchter, Nichten, Enkelsöhne, Patenkinder oder Kinder
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