42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
Revolver in die Tasche, hing sich den Fuchs wieder um, griff nach seinem Gewehr und sagte dann, indem er die hellen Augen furchtlos zu dem Oberförster erhob:
„Du denkst wohl, du machst mir Angst, Herr Hauptmann? Oh, ich kenne dich, ich kenne dich!“
„Was, du kennst mich?“ donnerte Rodenstein. „Nun, dann wirst du ja auch wissen, daß es alle mit dir ist, vollständig alle. Du bist falsch, ganz und gar falsch!“
„Nein, ich bin nicht falsch! Du kannst gewaltig räsonieren, aber das klingt nur, als ob man sich fürchten müßte. Ich mache mir nichts daraus, denn ich weiß etwas.“
„So! Nun, was weißt du denn?“
„Daß du mir gut bist.“
Das sagte er mit einer solchen treuherzigen, aufrichtigen Miene und dabei glänzte aus seinem offenen, ehrlichen Auge ein solcher Strahl von Liebe, daß sich der Oberförster zu ihm niederbeugte und ihn von neuem in seine Arme nahm.
„Schlingel, du hast recht. Trolle dich hinaus, sonst schwatzest du mir Dinge ab, die ich gar nicht verantworten kann.“
Er schob den Knaben zur Tür hinaus und bemerkte dabei, daß draußen Helene Sternau soeben im Begriff stand, anzuklopfen.
„Sie, Fräulein Helene?“ sagte er. „Treten Sie ein. Was bringen Sie?“
„Zunächst Ihren Strauß und dann eine Bitte, Herr Hauptmann.“
„Ich danke. Also eine Bitte? Na, Sie wissen ja, daß ich Ihnen nichts abschlagen werde. Aber was ist denn das? Ihr Gesicht leuchtet ja, als hätte der heilige Christ noch einmal beschert!“
„Das hat er auch, mein bester Herr Hauptmann. Und darauf bezieht sich eben meine Bitte.“
„Nun, so bitten Sie einmal los!“
„Erlauben Sie der Mama, Ihnen meinen Bruder vorzustellen!“
„Ihren Bruder, den Herrn Doktor Sternau?“ fragte er überrascht.
„Ja.“
„So ist er nicht mehr in Spanien?“
„Nein. Er ist eben jetzt angekommen.“
„Alle Teufel, ja, das stimmt“, sagte er langsam und nachdenklich.
„Wie?“ fragte Helene. „Sie wissen bereits –“
„Nichts weiß ich, gar nichts“, sagte er rasch, um seinen Fehler wiedergutzumachen. „Aber ich bitte, ihn mir zu bringen. Ich bin sehr begierig, ihn kennenzulernen.“
„Mama wird unterwegs sein; ich bin ihnen schnell vorausgegangen, um sie anzumelden. Ah, da klopfen sie. Darf ich öffnen, Herr Hauptmann?“
„Freilich, freilich!“
Sie öffnete die Tür, und Sternau trat mit seiner Mutter ein. Bei seinem Anblick zeigte sich ein offenes Erstaunen auf dem Gesicht des Oberförsters.
„Wie“, fragte er, „dieser Herr ist Doktor Sternau, Ihr Sohn, Frau Sternau?“
Über das feine Gesicht der Dame flog ein schnelles Rot; es wäre wohl zwischen dieser Frage und ihrer Antwort eine Pause entstanden, wenn der Doktor nicht sofort das Wort ergriffen hätte.
„Allerdings bin ich es, Herr Hauptmann“, sagte er. „Ich kam vor kaum zehn Minuten an und beeile mich, Ihnen von ganzem Herzen Dank zu sagen für die vielen Beweise von Güte und Freundlichkeit, welche Sie mir in den Personen meiner Mutter und Schwester erwiesen haben.“
Der Oberförster hielt sein Auge noch immer erstaunt auf den Sprecher geheftet, sagte aber abwehrend:
„Schnickschnack! Frau Sternau ist es, der ich zu danken habe. Sie gibt sich Mühe, aus mir altem Einsiedler einen genießbaren Menschen zu machen, und dafür sind Sie mir doch keine Anerkennung schuldig. Übrigens sind wir ja verwandt, und so kann von Dank gar keine Rede sein. Nehmen Sie Platz, und verzeihen Sie, daß ich Sie so überrascht betrachte. Ich habe mir von Ihnen eine so ganz andere Vorstellung gemacht.“
„Darf ich fragen, welche?“ fragte Sternau, indem er sich zwischen Mutter und Schwester niederließ.
„Ich habe Sie mir gedacht als einen kleinen, schmächtig gebauten Mann mit feinen, geistreichen Gesichtszügen und einer goldenen Brille auf der Nase, nun aber –“
Er hielt zögernd inne, denn die Fortsetzung seiner Rede wollte sich nicht finden. Sternau fiel lächelnd ein:
„Nun aber tritt so ein Goliath vor Sie, ein Goliath ohne Brille und ohne geistreiches –“
„Halt, halt, so war es nicht gemeint!“ wehrte Rodenstein ab. „Nur um die Größe handelt es sich. Ich konnte mir nicht denken, daß so ein Enakssohn meine kleine Frau Sternau zur Mutter habe. Aber es ist mir um so lieber, einen Riesen in der Familie zu wissen. Sie sehen mir gar nicht so aus, als ob Sie um einer Lappalie wegen in Ohnmacht fallen würden, und so will ich aufrichtig sein und Ihnen sagen, daß Sie mir bereits angemeldet worden
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