42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
sind.“
„Ah!“
„Ja, heute morgen.“
„Von wem?“
„Von der hochlöblichen Polizei.“
„Von der Polizei?“ fragte Frau Sternau ängstlich. „Was hat die mit uns zu tun?“
„Oh, es war ein großherzoglich-hessischer Polizeikommissar, der mich fragte, ob ein Doktor Sternau bei mir wohne.“
Sternau nickte und sagte dann:
„Ich habe mir so etwas gedacht.“
„Wirklich?“ sagte Rodenstein. „So gibt es also einen Grund für die Polizei, sich nach Ihnen zu erkundigen?“
Sternau lächelte überlegen und antwortete:
„Darf ich fragen, ob dieser Herr Kommissar vielleicht einen solchen Grund angegeben hat?“
„Jawohl, sogar mehrere.“
„Welche?“
„Er sagte, Sie würden steckbrieflich verfolgt wegen Mordversuch, Diebstahl, Mitgliedschaft bei einer Räuberbande – und so weiter.“
„Herrgott, ich erschrecke!“ rief die Schwester.
„Das ist ja unmöglich!“ meinte die Mutter. „Kannst du das erklären, mein Sohn?“
„Ja, meine Mutter“, antwortete Sternau. „Vorher aber erlaube ich mir, den Herrn Hauptmann nach der Antwort zu fragen, die er dem Mann von der Polizei gegeben hat.“
„Oh, diese Antwort war die allerdeutlichste, die er erhalten konnte, ich habe ihn sehr einfach hinauswerfen lassen.“
„Wirklich?“
„Ja, buchstäblich. Ich konnte mir nicht denken, daß Doktor Sternau, von dem ich so viel Rühmliches gehört und gelesen habe, Mitglied einer Räuberbande sei; auch jetzt, da ich Sie persönlich vor mir habe, bin ich vollständig überzeugt, daß meine Meinung die richtige ist, und so habe ich diesen Menschen, der mich übrigens hochmütig von oben herab behandelte und sogar den Gruß vergaß, durch meinen guten Ludewig – alle Teufel, er hat aber heute einen wahren Sauschuß getan – zur Tür hinaus – und buchstäblich die Treppe hinabwerfen lassen.“
Da streckte Sternau ihm die Hand entgegen und sagte:
„Ich danke Ihnen, Herr Hauptmann! Sie haben recht gehandelt. Ich hatte noch nicht Zeit, mit Mutter und Schwester über diese Angelegenheit zu sprechen; Sie selbst mußten auch von ihr unterrichtet werden, und so wartete ich diesen Augenblick ab, um alle drei dabei Interessierten zu gleicher Zeit aufzuklären. Haben Sie eine Viertelstunde der Muße für uns übrig?“
„Zehn Stunden und auch zwanzig, Herr Doktor! Sprechen Sie getrost!“
„Nun, es ist wahrlich ein Roman, den ich Ihnen zu erzählen habe, ein Roman, wie man ihn nicht sehr oft zu lesen bekommt. Hören Sie: Ich werde höchstwahrscheinlich die Tochter eines spanischen Grafen heiraten.“
„Donnerwetter!“ rief der Hauptmann.
„Karl!“ rief die Mutter.
„Du scherzt!“ rief die Schwester.
„Hört!“ bat der Doktor. „Ich machte in Paris die Bekanntschaft einer Dame von solcher Schönheit, daß ihr die sämtliche Herrenwelt zu Füßen lag –“
„Eben diese Gräfin?“ fragte Rodenstein.
„Ja. Ich erfuhr, daß sie Gräfin sei und Erbin von vielen Millionen; ich bewunderte also ihre wahrhaft königliche Schönheit, die Tiefe ihrer Geistesbildung und die Güte ihres Herzens, wagte aber natürlich nicht, ihr Huldigungen darzubringen, zu denen der arme Arzt nicht berechtigt sein konnte. Wir sahen uns aber trotzdem, und eines Tages sagten wir uns, daß unsere Liebe hoffnungslos sei, da sie gezwungen war, den Rücksichten ihres hohen Standes zu entsprechen.“
„Albernheit!“ fiel der Hauptmann ein. „Man heiratet, wen man lieb hat!“
Sternau fuhr fort, ohne auf diese kräftige Bemerkung einzugehen:
„Sie reiste ab. Da, nach langer Zeit, erhalte ich einen Ruf von ihr, nach Spanien zu kommen und ihren schwerkranken Vater in Behandlung zu nehmen. Er war blind und litt zu gleicher Zeit an einem lebensgefährlichen Steinübel. Ich reiste ab, kam in Rodriganda an und fand ihn unter der Behandlung von Ärzten, von denen ich überzeugt bin, daß sie bestochen waren, ihn tot zu kurieren.“
„Die soll der Teufel holen!“ rief der Hauptmann.
„Ich jagte sie allerdings zum Teufel“, sagte Sternau.
„Und machten den Grafen gesund?“
„Ja. Ich operierte den Stein und das Auge; er wurde wieder sehend.“
„Nun, so ist die Geschichte ja abgemacht! Wenn Sie dem Grafen das Leben retten und das Licht der Augen wiedergeben, so ist es ja gar nicht anders zu erwarten, als daß er Ihnen seine Tochter zur Frau gibt!“
„Er hätte es ganz sicher getan; aber er konnte nicht. Hören Sie weiter!“
Er erzählte in ausführlicher Weise seine Erlebnisse, berichtete von
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