42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
Elvira?“ fragte der Hauptmann, als er die Eheleute erblickte.
Der Kastellan hörte die beiden Namen und schloß daraus, daß die Rede von ihnen sei; er machte daher eine tiefe Verbeugung und sagte:
„Mira! Yo soi Juan Alimpo é está ma buena Elvira – siehe da, ich bin Juan Alimpo, und diese ist meine gute Elvira!“
„Ah, Sapperment, nun kann ich kein Wort Spanisch reden“, sagte der Hauptmann. „Daran habe ich noch gar nicht gedacht!“
„Nun, so sprechen Sie vielleicht etwas Französisch?“ fragte Sternau.
„Zur Not!“
„So können Sie sich mit diesen beiden Leuten zur Genüge verständlich machen. Sie sprechen beide leidlich Französisch. Aber, bitte, treten wir ein!“
Er öffnete das Nebenzimmer, und der Anblick, der sich ihnen hier bot, war geeignet, sie alle mit tiefster Rührung zu erfüllen.
Vor dem Sofa, vor welchem man in vorsorglicher Weise ein weiches Kissen gelegt hatte, kniete Rosa. Sie hatte die weißen, zarten Hände gefaltet und blickte, während ihre jetzt blutleeren Lippen sich unhörbar bewegten, betend nach oben. Ihr eingesunkenes Gesicht war von einer überirdischen, geisterhaften Schönheit. Man sah es ihm an, wie hinreißend und bezaubernd sein Ausdruck gewesen sein müsse, als noch der Geist diese engelsreinen Züge bewohnte und beherrschte.
„Wie schön!“ flüsterte vollständig bezaubert der Hauptmann. „Oh, man sollte diese Halunken alle lebendig spießen und braten! Sie soll es bei mir haben wie im Himmel!“
„O mein Gott“, sagte Frau Sternau, indem ihr die hellen Tränen in die Augen traten. „Du armes, armes Kind! Beten wir zu Gott, daß er ihr noch Hilfe sende!“
Helene sagte nichts. Sie eilte zum Sofa, kniete neben Rosa nieder, umschlang sie liebevoll mit den Armen und weinte. Auch die Mutter trat hinzu. Die beiden Frauen richteten die Kranke empor und setzten sie auf das Sofa; sofort aber glitt sie wieder in ihre betende Stellung auf das Kissen nieder.
„Und Sie haben das Mittel noch nicht versucht?“ fragte der Hauptmann.
„Nein“, antwortete Sternau.
„Warum nicht?“
„Es fehlten mir in Paris und unterwegs die passende Umgebung und die notwendige Pflege.“
„Und Sie hoffen, daß es hilft?“
„Ich hoffe es, obgleich das Gift nun vollständig durch ihren Körper verbreitet ist. Ich werde morgen sofort die Behandlung beginnen.“
„Wissen Sie, worüber ich mich königlich freue, Doktor?“
„Nun?“
„Darüber, daß Sie das Gegengift gerade von diesem Cortejo genommen haben. Er muß in diesen wenigen Minuten fürchterlich gelitten haben.“
„Es gibt keine größere, keine furchtbarere Pein, keinen wütenderen Schmerz, als bis zum Schäumen gekitzelt zu werden. Er wird diese Augenblicke niemals vergessen können. Aber ich denke, wir brechen auf, Herr Hauptmann.“
„Ja. Sie setzen sich mit der Gräfin und Ihrer Mutter und Schwester in den einen Wagen, und ich werde in dem anderen mir Mühe geben, mit Alimpo und Elvira meine drei übriggebliebenen Worte Französisch zu radebrechen. Kommen Sie!“
Die Effekten, welche Sternau mitgebracht hatte, wurden auf den Leiterwagen verladen; er berichtigte die Zeche; dann stieg man auf und fuhr vom Hotel ab. Eben fuhren sie durch eine der Hauptstraßen, da gab der Hauptmann seinem Kutscher ein Zeichen, neben dem Wagen Sternaus zu fahren. Auf diese Weise kam er zu diesem in eine Stellung, daß er mit ihm sprechen konnte.
„Cousin“, sagte er, „blicken Sie einmal rechts hinüber nach dem Trottoir!“
„Ja.“
„Sehen Sie den Menschen mit dem grauen Überrock?“
„Mit dem Regenschirm über dem Arm?“
„Ja.“
„Wer ist es?“
„Der großherzoglich-hessische Polizeikommissar.“
„Ah, den muß ich mir genauer ansehen!“
„Er wird uns natürlich bemerken, und ich möchte wetten, daß wir ihn nun bald wieder auf der Oberförsterei sehen, denn er wird sofort schließen, daß Sie der erwartete Doktor Sternau sind.“
Wirklich blieb der Mann, als sie an ihm vorüberfuhren, stehen. Er rückte die Brille zurecht, und als sie an ihm vorüber waren, drehte er sich mit einem höhnischen Lachen um und eilte der Gegend zu, in welcher die Amts- und Gerichtsgebäude liegen.
Sie aber fuhren unbekümmert um ihn weiter und langten nach kurzer Zeit auf Rheinswalden an, wo ihre Zimmer in bester Ordnung auf sie warteten, denn Sternaus Mutter hatte an Frau Helmers den Auftrag gegeben, alles auf die Ankunft der Gäste gehörig vorzubereiten.
Der Schluß des Tages wurde benutzt, sich
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