42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
von ihr Geld borgen kam.
„Herr Sternau, brauchen Sie es wirklich?“
„Ja.“
„Ich will nicht fragen, wozu. Hier ist es. Fast ahne ich, warum Sie diese Bitte aussprechen!“
„Was wollen Sie, Fräulein Wilhelmi. Wir sind Landsleute und müssen einander aushelfen!“
Er gab sich alle Mühe, diese Worte in einem leichten Ton zu sprechen, aber es gelang ihm nicht; seine Stimme bebte, und in seinem Auge stieg ein dunkler, feuchter Schimmer auf. Sie fühlte sich doch ergriffen und streckte ihm die Hand entgegen.
„Ich weiß, daß Sie es gut meinen. Ich werde stets mit Achtung an Sie denken!“ sagte sie.
„Wollen Sie sich meiner zuweilen erinnern?“
„Gern.“
„Und zu mir kommen, wenn Sie eines Freundes bedürfen?“
„Ich verspreche es Ihnen.“
„So lassen Sie uns gleich jetzt einander Lebewohl sagen!“
„Warum schon jetzt? Warum nicht erst morgen, wenn ich gehe, Herr Sternau?“
„Ich glaube nicht, daß ich morgen zu Hause sein werde. Nehmen Sie meine innigsten Wünsche mit in Ihr neues Wirken. Gott behüte Sie vor jeder Enttäuschung und wende das, was Sie mit so großem Vertrauen unternommen haben, zu Ihrem Besten. Leben Sie wohl!“
Er ergriff ihre Hände, zog dieselben an sein Herz und an seine Lippen und eilte dann hinaus. Sie blieb zurück. Es war ein eigentümliches, banges Gefühl, welches sie ergriff, fast wie Reue, daß sie erst ohne seinen Rat gehandelt und dann auch gegen seine Ansicht das viele Geld behalten hatte. Sie suchte dieses Gefühl zu beherrschen, aber es gelang ihr nicht, und der Abend, den sie als den letzten im Haus des Bankiers verlebte, war ein einsamer. Selbst die Nacht brachte ihr weder Schlaf noch Ruhe, und als sie sich am Morgen erhob, war es ihr, als ob ein großer Teil ihres Lebensmutes und Selbstvertrauens verlorengegangen sei.
Bereits am Vormittag kamen einige Bedienstete des Herzogs, um die Effekten der Gouvernante abzuholen, und kurze Zeit später hielt sogar ein Wagen vor der Tür, welcher für sie selbst bestimmt war. Sie hatte bereits vorher von Salmonno Abschied genommen und stieg ein. Dabei warf sie einen Blick nach oben, konnte aber von Sternau nichts bemerken. Aber als sie sich später noch einmal umdrehte, da sah sie ihn in gebrochener Haltung oben auf seinem Balkon stehen, auf demselben Balkon, von welchem aus er gesehen hatte, daß sie dem Perser die Busenschleife zuwarf. Dieser Wagen mit dem herzoglichen Wappen entführte ihm sein Lebensglück.
Als sie vor dem Palais ausstieg, wurde sie von dem Haushofmeister empfangen, der sie nach ihrer Wohnung geleitete und ihr eine weibliche Bedienung zuwies. Sie packte nun zunächst ihre Koffer aus und begab sich sodann in das Zimmer der kleinen Prinzessin.
Die Bonne war da. Die Gouvernante reichte ihr die Hand entgegen und bat:
„Lassen Sie uns Freunde sein, Señorita! Das Schicksal hat uns zusammengeführt, und nun gilt es, in Frieden und Eintracht nebeneinander zu wirken.“
Die Bonne war eine kleine, höchst erregbare Südfranzösin. Sie machte ein grimmiges Gesicht und tat, als ob sie die dargestreckte Hand gar nicht bemerke.
„Aber bitte, was habe ich Ihnen getan?“ fragte die Gouvernante.
„Ich mag Sie nicht!“ lautete die trotzige Antwort.
„Warum nicht?“
„Ich soll es nicht sagen, aber ich sage es doch! Sie haben meine Freundin verdrängt.“
„Wer ist diese Freundin?“
„Mademoiselle Charoy, die vorige Gouvernante.“
„Aber die habe ich ja nicht verdrängt!“
„Doch! Sie hat Ihnen weichen müssen!“
„Das ist nicht wahr! Sie ist eines plötzlichen Todesfalles wegen auf ihre eigene Bitte entlassen worden.“
„Ah, wer sagte das?“
„Der Herr Haushofmeister.“
„Dieser Lügner und Gleisner, dieser Cortejo? Hahaha! Und mir hat er streng verboten, Ihnen zu sagen, wie es eigentlich ist.“
„Nun, wie ist es eigentlich?“
„Er kam zu Mademoiselle Charoy und sagte ihr, daß man für eine kurze Zeit eine andere Dame als Gouvernante hier placieren werde; sie solle ihr Gehalt fortbeziehen und einstweilen zu ihren Eltern auf Urlaub gehen. Dann kamen Sie und erhielten sofort den intimsten Teil derjenigen Gemächer, welche die verstorbene Herzogin bewohnt hat. Ihre Zimmer stoßen direkt an diejenigen des Herzogs. Warum quartierte man Sie nicht in die Gouvernantenwohnung ein? Oh, man weiß, was dies zu bedeuten hat!“
Die Gouvernante erbleichte. Es war ihr, als ob sie mit eiskaltem Wasser begossen werde. Sollte Sternau das Richtige geahnt haben? Sie nahm sich
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