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42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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möglichst zusammen und antwortete:
    „Bitte, sagen Sie mir Ihren Namen.“
    „Man nennt mich hier Jeanette. Sagen Sie nicht Señora zu mir. Ich bin eine Französin.“
    „Nun wohl, Mademoiselle Jeanette, ich bitte Sie, mich einen Augenblick lang ruhig und ohne Bitterkeit anzuhören. Es tut mir leid, daß ich Ihr freundschaftliches Zusammensein mit Mademoiselle Charoy gestört habe, aber ich trage wirklich die Schuld nicht daran. Ich las im Blatt, daß eine Gouvernante gesucht werde; ich meldete mich und wurde engagiert, das ist alles.“
    „Sie wußten nicht, wo die Stelle war?“
    „Nein. Seien Sie aufrichtig gegen mich, damit ich mich so verhalten kann, daß ich mir Ihre Zufriedenheit und Freundschaft erwerbe. Können Sie mir sagen, wann der Herzog von seiner Reise zurückgekehrt ist?“
    „Der Herzog? Von seiner Reise? Er war ja gar nicht verreist.“
    „Nicht gestern, als ich hier war?“
    „Nein, um diese Zeit hatte er sich auf seine Gemächer zurückgezogen.“
    „Mein Gott, so hat man mich belogen! Und diese Gemächer stoßen wirklich an meine Wohnung?“
    „Unmittelbar.“
    „Und noch eine Frage: Wo ist der Herzog am ersten Tag des Karnevals gewesen?“
    „Das wissen wir nicht. Er ging als Maske fort.“
    „Welche Maske trug er?“
    „Er war als Perser gekleidet.“
    „Ich danke Ihnen, Mademoiselle. Ich bin überzeugt, daß wir noch recht gute Freundinnen werden, denn Sie werden bald einsehen, daß Sie mich falsch beurteilt haben. Wo befindet sich unsere Prinzeß?“
    „Sie ist um diese Zeit stets bei ihrem Papa.“
    „Wann wird man sie sehen können?“
    „In kurzer Zeit bereits.“
    „So werde ich wiederkommen.“
    Sie begab sich in ihre Wohnung zurück. All ihre Begeisterung war verschwunden; von der Höhe des geträumten Glückes war sie gleich am ersten Tag heruntergestürzt. Was sollte sie tun? Das Palais verlassen? Das Geld zurückgeben, dessen größter Teil bereits unterwegs nach Deutschland war? Zu Sternau gehen und ihm eingestehen, daß er recht gehabt habe? Nein und abermals nein. Noch konnte sie nichts beweisen. Sie wollte ihre Vorkehrungen treffen und dann das weitere abwarten.
    Zunächst untersuchte sie ihr Schlafzimmer. Durch Klopfen überzeugte sie sich, daß es durch eine Tapetentür mit der Wohnung des Herzogs verbunden sei, daß die eine Seite desjenigen Zimmers, in welchem sie gestern mit Cortejo gesessen hatte, aus einer dünnen Bretterwand bestand, welche mit Tapeten überkleidet war. Wie leicht war es, sie durch irgendeine Öffnung zu beobachten oder gar zu überfallen. Ihr Entschluß stand fest.
    Noch in dieses Grübeln versunken, wurde sie von einem der Diener gestört, welcher ihr meldete, daß der Herzog Señorita Wilhelmi zu sprechen wünsche. Sie wurde von ihm nach dem Vorzimmer geleitet und trat dann in den eigentlichen Empfangsraum.
    Dort saß der Herzog in einem kostbar geschnitzten Sessel, ein offenes Zeitungsblatt in der Hand.
    Ja, das war die ganze Gestalt des Persers; das war der blonde Vollbart, der sich gewaltsam auf ihre Lippen gelegt und ihre Wange gestreift hatte, nur jetzt ein wenig verschnitten, wohl aus Vorsicht, um nicht erkannt zu werden.
    Die Gouvernante verbeugte sich. Die Befangenheit, welche man sonst wohl in Gegenwart so hochgestellter Persönlichkeiten empfindet, gab es bei ihr nicht. Sie sah in dem Herzog nur die Maske, welche Sternau zur Treppe hinabgeworfen hatte. Sie fühlte, daß ein fester Mut ihr Herz erfüllte.
    „Señorita Wilhelmi?“ fragte der Herzog.
    Sie verneigte sich bejahend.
    Ja, das war auch dieselbe Stimme, welche in ihrem Zimmer so gleisnerisch gesprochen hatte!
    „Mein Haushofmeister sagte mir bei meiner Rückkehr von einer Reise, daß er Sie als Erzieherin meiner Tochter engagiert habe –“
    Er hielt inne, als erwartete er von ihr eine untertänige Bemerkung. Er sollte eine Bemerkung hören, aber keine Untertänigkeit.
    „Darf ich fragen, wohin Serenissimus verreist waren?“
    Er blickte, im höchsten Grad überrascht, empor. Das hatte noch kein Mensch gewagt.
    „Warum?“ fragte er scharf.
    „Weil ich annehme, daß diese Reise nur bis in Ihre Gemächer gegangen ist.“
    „Ah, mira! – ah, siehe!“ rief er. „Was soll das heißen?“
    „Daß ich in Serenissimus jetzt jenen Perser wiedererkenne, welcher mir einen so unwillkommenen Besuch abstattete.“
    Er war ganz starr vor Erstaunen. Er, ein Herzog, und sie, eine kleine, arme Gouvernante! Wie schrecklich, wie horrible, wie geradezu unmöglich! Sollte

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