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42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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einem feinen Herrenstiefel her. Ich werde ihn mir genau abzeichnen.“
    Er zog ein Zeitungsblatt, welches er zufällig bei sich trug, und einen Bleistift hervor und zeichnete die Umrisse des Stiefels so genau nach der Spur, daß die Konturen der Zeichnung streng an die Sohle des Stiefels passen mußten.
    „So, das ist das eine“, sagte er. „Das andere ist fast noch merkwürdiger. Hier sind zwei Männer gerade hintereinander gegangen. Bemerken Sie, daß die Absätze ihrer Stiefel tiefer in den Sand eingedrungen sind als die Sohle?“
    „Ja, Sir!“
    „Sie sind also fester und schwerer aufgetreten als die anderen, sie haben eine Last zu tragen gehabt, welche nicht leicht gewesen ist. Kommen Sie, Miß Amy, gehen wir jetzt noch weiter!“
    Er verfolgte die Spur noch längere Zeit, ohne ein Wort zu sagen; endlich aber blieb er stehen und meinte ganz erstaunt:
    „Ah, hier hat ein Wagen gestanden!“
    „Wirklich?“ fragte sie. „Was tut ein Wagen hier zwischen den Büschen?“
    „Diese Frage werfe auch ich auf. Es ist hier die Grenze des Parks. Sehen Sie die Geleise? Es waren zwei Pferde vorgespannt. Hier hat man die Last niedergelegt, hier neben dem Wagen.“ Er bückte sich nieder, um den Eindruck, den die Last im weichen Moos gemacht hatte, sorgfältig zu betrachten. Das Moos hatte sich fast vollständig wieder erhoben, und es schien, als ob Sternau nicht mit sich ins klare kommen könne, da aber fiel sein Blick auf einen niedrigen Schlehdorn, seine Hand griff danach aus, zog etwas vorsichtig von dem Dorn weg, und dann schnellte er empor. Sein Gesicht war bleich geworden, und erschrocken rief er aus:
    „Wissen Sie, was für eine Last es war, welche man vom Schloß holte und in den Wagen warf?“
    „Mein Gott, Sir, Sie erschrecken mich!“ antwortete Amy Lindsay. „Was war es denn?“
    „Ein Mensch.“
    „Ein Mensch?“ wiederholte sie. „Nicht möglich!“
    „Doch! Sehen Sie hier diese wenigen Haare, welche ich an dem Dorn gefunden habe! Sie sind hängengeblieben, als man ihn niederlegte. Sie sind schwarz und lang, fast so, wie Señor de Lautreville sie trägt. Sie gehörten keiner Dame, sondern einem Herrn.“
    Jetzt kam die Reihe, zu erbleichen, an die Engländerin.
    „Señor de Lautreville?“ fragte sie erschrocken. „Sir, es ist ein Unglück, ein Verbrechen geschehen! Lassen Sie uns eilen. Wir müssen fragen, wer von den Schloßbewohnern fehlt.“
    „Hm!“ antwortete er nachdenklich. „Ungewöhnlich erscheint mir diese Sache, sehr ungewöhnlich; aber auf ein Unglück oder gar ein Verbrechen möchte ich denn doch nicht so schnell schließen. Wir befinden uns nicht in einem amerikanischen Urwald; wir leben hier in geordneten Verhältnissen, und unser Spursuchen à la Savanne hat unsere Phantasie erhitzt.“
    „Nennen Sie es auch geordnete Verhältnisse, daß man Sie hier im Park töten wollte und daß ich mit Rosa überfallen wurde?“ fragte sie ängstlich.
    „Das ist allerdings wahr“, antwortete er. „Kommen Sie, Miß, wir wollen eiligst umkehren!“
    Sie gingen mit schnellen Schritten dem Schloß zu, dessen Bewohner sich unterdessen von ihrer Ruhe erhoben hatten.
    „Bitte, Miß Amy, sagen Sie jetzt niemandem etwas“, bat Sternau. „Überlassen Sie die Angelegenheit einstweilen noch mir. Vor allen Dingen müssen wir den Grafen schonen. Er ist noch Patient und darf nicht aufgeregt werden. Begeben Sie sich nach dem Salon, und schweigen Sie so lange, bis ich Sie wieder gesprochen habe.“
    Sie versprach es ihm und schritt nach oben, während sich Sternau in die Wohnung des Portiers begab, wo, wie er wußte, um diese Zeit das Schuhwerk sämtlicher Bewohner des Schlosses gereinigt wurde. Er fand den Portier nebst dessen Gehilfen bei dieser Beschäftigung und zog wortlos, ohne ihnen eine Erklärung zu geben, das Zeitungsblatt hervor. Er fand sehr bald einen Herrenstiefel, welcher ganz genau zu der Zeichnung paßte, die er sich von dem Fußabdruck gemacht hatte.
    „Wem gehört dieser Stiefel?“ fragte er den Portier, welcher ganz erstaunt diesem ihm unerklärlichen Beginnen zugesehen hatte.
    „Er gehört Señor Gasparino Cortejo“, lautete die Antwort.
    Hierauf begab sich der Arzt zum Kastellan, um weitere Erkundigungen einzuziehen. Er erfuhr hier, daß alle Bewohner von Rodriganda bereits wach seien, den Lieutenant ausgenommen, den Alimpo noch nicht gesehen hatte.
    „Kommt, Señor Castellano, wir wollen ihn wecken!“ gebot er.
    „Wecken?“ fragte Alimpo ganz erstaunt. „Wird er es

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