43 - Waldröschen 02 - Der Schatz der Mixtekas
ich dir und mir alle Tage einen so guten Fang. Denn ich hoffe, daß er nicht bloß die Uhr und die Ringe, sondern auch seine Börse, wohl gar ein Portefeuille bei sich hatte.“
„Es war eine Wenigkeit, und –“ Gerard hielt inne, denn es war am Eingang gepocht worden.
„Öffne!“ befahl der Wirt dem Türhüter. „Es war das richtige Zeichen.“
Der Mensch schob den Schrank zurück, und es erschienen zwei Personen, voran ein Mädchen und hinter ihr ein Herr.
„Donnerwetter, die Mignon!“ rief der Wirt beim Anblick des Mädchens aus.
Auch der Schmied ließ einen Ruf der Freude hören, wurde aber im nächsten Augenblick leichenblaß, denn der Herr, der mit eintrat, war – Alfonzo, der von ihm Garottierte. –
Das Haus, vor dem der Schmied den Grafen gewürgt hatte, gehörte zu den dunkelsten Häusern von Paris. Es enthielt im Parterre eine Weinkneipe, deren Besitzerin zugleich die Gebieterin von ungefähr zwölf Mädchen war.
Das hübscheste unter ihnen führte den Spitznamen Mignon, denn keines dieser Mädchen wurde bei seinem ursprünglichen Namen genannt. Mignons Geliebter war Gerard, der Schmied.
Die zwölf Magdalenen saßen heute abend schön herausgeputzt in der Trinkstube zusammen, die sie Salon nannten. Es befand sich kein einziger Gast bei ihnen, und darum herrschte eine ungewöhnliche Stille im Gemach.
Doch diese Stille wurde plötzlich unterbrochen. Die Tür wurde geöffnet, und es trat ein junger Mensch ein, der zu den gewöhnlichen Gästen des Lokales gehörte. Die Mädchen sprangen alle auf ihn zu und umringten ihn.
„Ah, der Robert Barlemy!“ riefen sie. „Willkommen, willkommen!“ Sie faßten ihn darauf von allen Seiten und wollten ihn zu einem Sitz bringen, er aber wehrte entschieden ab und sagte:
„Laßt mich, ihr Mädels! Wir haben Notwendigeres zu tun.“
„Notwendigeres? Was?“ fragten zwölf Stimmen.
„Kommt und helft mir. Draußen vor der Tür liegt ein Toter!“
„Ein Toter! Oh! Ah! Mein Gott!“
So erklangen zwölf Schreckensrufe durcheinander.
„Ist's wahr?“ fragte die Wirtin erschrocken.
„Ja“, antwortete der Gast. „Ich fiel beinahe über ihn hinweg.“
„So muß man zur Polizei laufen. Der Tote muß fort!“
„Nein“, sagte der Mann. „Zunächst muß er hier hereingeschafft werden.“
Die Wirtin stieß einen Ruf des Entsetzens aus.
„Sind Sie verrückt?“ rief sie. „Ein Toter – zu uns? Was wollen wir mit ihm?“
„Es kann ja noch Leben in ihm sein; es schien zwar, daß er tot sei, aber man muß sich doch überzeugen, ob es wirklich so ist. Eine Blutung sah ich nicht; im übrigen war er sehr fein gekleidet. Er scheint den höheren Ständen anzugehören.“
„So mag man ihn bringen, aber nicht herein in den Salon, vielmehr nach dem hinteren Zimmer.“
„Nein“, sagte Mignon, die ein mitleidiges Herz besaß, „man trage ihn nach meiner Stube.“
Der Gast trat mit dem Hausknecht hinaus auf die Gasse und hob mit Hilfe desselben den Grafen auf. Sie trugen ihn hinein und nach dem kleinen Zimmer, das Mignon bewohnte. Dahin folgte die Wirtin mit dem Mädchen.
„Er ist wirklich nicht verwundet“, sagte sie.
„Wie hübsch er ist“, meinte eines der Mädchen.
„Und noch so jung“, ein zweites.
„Und so elegant“, ein drittes.
„Man muß nach einen Arzt schicken“, sagte die Wirtin.
„Halt, warten Sie!“ rief der Gast. „Er lebt.“
„Er lebt?“ schrien alle zugleich.
„Ja. Er ist warm, und sein Puls geht.“
„Mein Gott, er schlägt die Augen auf“, rief Mignon.
Alfonzo kam allerdings jetzt zu sich und öffnete die Augen.
„Ja, er lebt! Er ist gerettet! Er sieht uns!“ ertönte es rundum im Kreis der Mädchen.
Alfonzo mußte sich erst besinnen, was geschehen war, dann fragte er: „Wo bin ich?“
Seine Stimme klang ganz rauh von dem Würgen.
„Sie sind in sehr guten Händen, Monsieur“, antwortete die Wirtin. „Wünschen Sie etwas?“
„Um einen Schluck Wein bitte ich.“
„Den sollen Sie sofort haben. Aber darf ich fragen, wer Sie sind?“
„Ich bin der Marchese Acrozza.“
„Ein Marchese? O mein Gott, holt schnell ein Glas Wein, ein Glas vom besten – oder vielmehr eine ganze Flasche! Schnell, schnell!“ gebot die Wirtin. „Aber, Monsieur le Marchese, wie kommen Sie in eine solche Lage?“
„Man hat mich gewürgt und niedergerissen.“
„Und niedergerissen! Vielleicht gar garottiert?“
„Was ist das?“ fragte er.
„Man würgt die Passanten, um sie zu
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