434 Tage
gemeinsamen Freunde. Die andere Frau hat nur Julian zu verlieren. Julian und das Abenteuer. Die gestohlene Geborgenheit. Und leider auch das Lachen und die Liebe zu einem Mann, der einmal alles bedeutet hat. Einem Mann, mit dem die Sonne auf- und untergegangen ist. Den Mann, der einmal meine gesamte Welt war. Und in dem Augenblick, als ich an der Ampel am Luise-Kisselbach-Platz zum Stehen komme, frage ich mich, ob ich damit leben kann, all das zu verlieren. Und die Wahrheit ist, ich weiß es nicht. Im Grunde ist das Blödsinn. Natürlich kann ich ohne Julian leben. Ich habe es einmal geschafft und ich würde es auch ein zweites Mal schaffen. Ich könnte auch ohne Tobias leben. Man überlebt alles. Das einzige, was bleibt, sind Narben. Und diese Narben erinnern einen an den Verlust, an das Gefühl der Leere und der Verzweiflung. Doch man überlebt es. Nur ein Fragment in einem stirbt. Ein klitzekleiner Teil. Die Frage ist nur, was dieser Teil im Gesamtbild ausmacht. Und das weiß man leider immer erst hinterher.
Kapitel 18
Es ist halb zwölf, als ich das Gartentor öffne. Die Sonne brennt vom Himmel und vereinzelte wattebauschartige Wolken kriechen über endlos wirkendes Dunkelblau. Gott, wie ich den Sommer liebe. Ich habe nicht einmal fünf Stunden geschlafen, aber meine Droge hält mich wach.
Ich sperre die Haustür auf. Es ist kühl und erfrischend. Mein Bruder und seine Freundin sitzen auf der Terrasse und lesen. Er ein Buch, sie eine Zeitschrift. Beide schauen hoch und lächeln mich an, dann widmen sie sich wieder ihrer Lektüre. Meine Mutter ist im Garten und gießt die Blumen.
„Schätzchen, da bist du ja...“ Sie kommt auf mich zu und drückt mir einen Kuss auf die Wange. „Wie war es bei Petra?“
„Ganz gut...“, sage ich und grinse. „Wo sind Lena und Hannes?“
„Die schlafen noch.“
„Ich geh’ mal duschen...“, sage ich und gehe in Richtung Haus.
„Ach ja, es hat jemand für dich angerufen.“
Ich bleibe abrupt stehen und drehe mich um. „Und wer?“
„Ein Julian.“
Er hat angerufen. Er hat tatsächlich angerufen. Am liebsten würde ich laut schreien. Stattdessen frage ich ruhig, „Und was hat er gesagt?“
„Na, er hat gefragt, ob er dich sprechen kann.“
„Und?“, frage ich leicht ungehalten.
„Ich habe ihm gesagt, dass du nicht da bist.“
„Ja, und dann?“
„Nichts und dann. Wir haben aufgelegt.“
Das Eichhörnchen tobt durch meinen Brustkorb. „Er hat keine Nummer hinterlassen?“
„Nein, hat er nicht.“
„Na, wunderbar“, sage ich leise. „Ich gehe dann mal duschen.“
„Wer ist dieser Julian überhaupt?“, fragt sie neugierig.
Mein Fleisch gewordener Traum. „Ein Typ, den ich gestern kennengelernt habe.“
„Und was ist mit Christoph?“
„Mit dem ist Schluss.“
„Ach, Liebes, das tut mir leid.“ Sie kommt auf mich zu und legt mir die Hand auf die Schulter. „Was ist denn passiert?“
„Kathi.“
„Unsere Kathi?“, fragt sie irritiert.
„Genau die.“
„Und dieser Julian...“
„Was willst du denn wissen?“, frage ich etwas gereizt.
„Na, er scheint dir ja zu gefallen.“
„Mama, ich will wirklich duschen...“, weiche ich ihr aus. „Mir hat gestern jemand Bier übers T-Shirt geschüttet.“
„Ist gut, dann geh mal. Wenn Julian noch einmal anrufen sollte, frage ich nach seiner Nummer. Versprochen.“
„Nein“, sage ich bestimmt. „Bitte ruf mich.“
„Aber du willst doch duschen.“
„Egal, dann komme ich eben aus der Dusche.“
„Ist gut“, sagt sie schmunzelnd. Und einen Teil in mir nervt dieses Schmunzeln. Es ist so ein erwachsenes Schmunzeln. Ein, och wie süß, sie ist verliebt Schmunzeln.
…
Hastig stelle ich das Wasser ab und horche. Doch da ist nichts. Genauso wenig wie die vorherigen acht Mal. Ich mache das Wasser wieder an und wasche mir das Shampoo aus den Haaren. Gerade als ich anfange, mir die Beine zu rasieren, höre ich die Stimme meiner Mutter. Ich springe aus der Wanne und werfe mir ein Handtuch um. Vor lauter Eile, rutsche ich auf dem Badvorleger aus, fange mich an Bademantel meines Bruders und reiße die Badezimmertür auf. Ich binde mir die Haare zusammen und renne hastig in den Flur. Zu hastig, denn ich bleibe mit dem kleinen Zeh am Türrahmen hängen. Tränen schießen in meine Augen. Ich bleibe einen Augenblick wie versteinert stehen. Ein dumpfer, pochender Schmerz kriecht mein Bein hinauf. Dann beiße ich die Zähne zusammen und hinke in Richtung Treppenhaus. Der
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