434 Tage
Regentropfen auf mein Gesicht. „Was war ich?“
„Du warst...“
„Sag’ es! Was war ich für dich?“ Er schüttelt mich. „Verdammt noch mal, sag’ es endlich!“
„Du warst eben da...“
Seine Hände umschließen meinen Hals. Ich spüre seine ganze Kraft, seine Wut, die Enttäuschung. Das Schlafzimmer pulsiert. Alles ist unscharf. Ich erkenne seine Augen nur noch als schwarze Flecken in einem verschwommenen Gesicht. Julian wird denken, ich habe es mir anders überlegt. Er wird denken, ich versetze ihn. Er wird denken, ich bleibe doch bei Tobias. Das Blut rauscht in meinen Ohren und ich sehe seltsam funkelnde Muster. Wie tausend Kristalle, die durchs Zimmer schweben. Und inmitten der Kristalle, sehe ich meine Mutter, die sich langsam von mir entfernt. Ich sehe sie winken und lächeln. Ich sehe meinen Vater, der neben mir auf dem Boden kniet und meinen Bruder und seine Freundin, die in unserem alten Haus auf der Terrasse sitzen und lesen. Sie schauen hoch und lächeln. Ich sehe verschnörkelte Buchstaben auf einem alten messingfarbenen Klingelschild. Ich denke, ich hätte mit Julian tatsächlich alles sein können. Die Erwachsene und die Träumerin.
Ich versuche zu atmen. Aber da ist keine Luft. Nur ein rasselndes Röcheln. Tobias Stimme klingt dumpf und unwirklich. Ich weiß nicht, ob er schreit oder weint. Ich spüre nur seine Hände an meinem Hals. Die Kraft, die in ihnen steckt. Ich spüre das Zittern seiner Anspannung. Mein Körper wehrt sich. Er kämpft, verkrampft sich. Er folgt dem Trieb, der stärker ist, als die Einsamkeit. Ich tue das nicht mehr. Dann wird er taub und schwer. Erst die Arme, dann die Beine.
Und plötzlich wird alles friedlich. Ich schließe die Augen und betrachte Julians Lächeln an der Innenseite meiner Lider. Ich ertrinke in diesen Augen. Verliere mich in seinem Gesicht. Ich habe ihn immer geliebt. Ich habe nie damit aufgehört.
ENDE
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