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434 Tage

434 Tage

Titel: 434 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
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Tobias. Irgendwie habe ich Angst, dass Julian all das in mir auslöst. Was, wenn ich ihn brauche, um so sein zu können? Und was ist, wenn ich Tobias und dieses Zuhause brauche, um bei Julian so frei zu sein?
    Ich hatte einmal Prinzipien. Werte wie Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Treue, waren einmal mehr als reine Worthülsen. Ich habe sie gelebt. Und was ist daraus geworden? Ich betrüge meinen Mann. Ich lüge und erfinde mir Geschichten, die ich so oft wiederhole, bis ich sie mir selbst glaube. Inzwischen weiß ich manchmal nicht mehr, was ich mir ausgedacht habe und was wirklich passiert ist. Es ist wie ein zähflüssiger Brei in meinem Gehirn. Ein Klumpen aus Notlügen, völlig haarsträubenden Angst-Lügen und Bequemlichkeits-Lügen.
    Früher gab es in meinem Leben nur ab und an einmal eine Notlüge. So wie bei jedem Menschen. Nichts Dramatisches jedenfalls. Kleinigkeiten.
    Anfangs ist mir das Lügen noch richtig schwer gefallen. Ich konnte nachts nicht mehr schlafen, lag ewig wach und habe versucht, diese Lügen vor mir selbst zu rechtfertigen. Ich habe nach plausiblen Erklärungen gesucht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich das mit Julian beenden muss. Zumindest bis ich ihn getroffen habe, um es zu beenden. Dann wusste ich, dass ich es nicht schaffe. Und irgendwann war es nicht mehr so schwer zu lügen. Und dann, eines Tages, war es keine Lüge mehr. Es war eben eine andere Art Realität. So wie ein Spiel, das Kinder spielen. Da geben Fünfjährige ja auch vor, Mütter und Väter zu sein und niemand nimmt es ihnen übel. Es ist eben ein Spiel. Fantasie. So habe ich es mir auch verkauft. In meiner Welt gab es zwei von einander völlig unabhängige Realitäten. Parallelexistenzen, von denen niemand etwas wissen durfte, außer mir. Ich habe die Regeln gestaltet, die mich jetzt von innen auffressen. Und obwohl ich weiß, dass ich etwas tun muss, scheint es mir unmöglich, auf eine der beiden Anjas zu verzichten.
    …
    Ich sitze auf dem Sofa und genieße mein Sandwich. Und während ich vorgebe, die Nachrichten zu verfolgen, frage ich mich, wie es Julian geht. Ich frage mich, wie sehr es ihn verletzt, dass ich nicht gekommen bin. Oder ob es ihn überhaupt verletzt. Was, wenn es ihm gleichgültig ist? Mit diesen Gedanken habe ich meinen Dämon geweckt. Und er ist immer noch wütend. Er ist es eben nicht gewohnt, gegen meine Vernunft zu verlieren.
    „Die hätten es alle verdient, hingerichtet zu werden. Jeder einzelne. So darf man Menschen nicht behandeln. Ich meine, es ist doch einfach unfassbar, wie in manchen Ländern die Menschenrechte mit Füßen getreten werden“, sagt Tobias kopfschüttelnd. Als ich nicht reagiere, schaut er zu mir rüber.
    „Findest du nicht?“
    „Doch, das ist wirklich furchtbar.“
    Während sich Tobias neben mir in Rage redet, wird mir ganz plötzlich übel. Mein Magen zieht sich zusammen, mein Herz rast, mir ist schwindlig, meine Knie fühlen sich an, als wären sie aus Gummi, meine Hände und Füße sind eiskalt. Ich habe Schweißausbrüche. Meine Stirn, die Achseln, sogar die Kniekehlen sind durchgeschwitzt. So stelle ich mir Entzugserscheinungen vor. Genau so muss es sich anfühlen. Ich habe meine Droge nicht bekommen. Ich habe mich ihr verweigert. Und es war ziemlich naiv von mir zu denken, dass das keinerlei Auswirkungen haben würde.
    „Es ist sowieso die Frage, ob es der Euro schafft. Ganz zu schweigen, was passiert, wenn die Scheiß-Rating-Agenturen die gesamte Euro-Zone runterstufen. Und stufen die die USA herab? Nein, natürlich nicht. Ich frage mich langsam echt, wie es weitergehen soll. Eigentlich haben wir es auch nicht anders verdient. Ich möchte gar nicht wissen, wie viel...“
    „Tobias.“, falle ich ihm ins Wort.
    „Was ist?“ Er dreht sich zu mir. „Was hast du?“
    „Ich habe eine Affäre.“ So. Jetzt ist es raus.
     
Kapitel 21  
    Wir sitzen auf dem warmen Asphalt und unterhalten uns. Die laue Abendluft umgibt mich wie Wasser und ich drohe in seiner Stimme zu ertrinken. So, als gäbe es mich gerade gar nicht. Ich bin da, aber irgendwie auch nicht. Das Eichhörnchen springt aufgeregt in meinem Brustkorb umher und mein Dämon ist ungewohnt friedlich. Er liegt zusammengerollt und schnurrend in meinem Unterleib.
    „Willst du lieber reingehen?“
    Ich schüttle den Kopf. „Du?“
    „Ich auch nicht.“
    Die Welt um mich herum scheint irgendwie weiter weg zu sein als sonst. Sie wirkt seltsam unscharf und irgendwie unwichtig. Aus der Disko dröhnt der

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