434 Tage
Eichhörnchen?“
„Was?“ Ich fasse es nicht, dass er jetzt damit kommt. Vielleicht fasse ich es aber auch nur nicht, wie wenig ich mich verändert habe. Die unabhängige Anja. Pah. Dass ich nicht lache.
„Sind es die Eichhörnchen oder dein Dämon?“ Und dann lächelt er sein Lächeln. In seinen pechschwarzen Augen glänzt eine unergründliche Sehnsucht. Und ich weiß nicht genau, ob es die Eichhörnchen sind oder vielleicht doch eher mein Dämon. Ich weiß nicht, wer oder was in mir entscheidet. Vielleicht ist es gar keine Entscheidung. Vielleicht ist es ein Kurzschluss.
Ein letztes Mal versucht mein Verstand mich zurückzuhalten. Er zeigt mir Tobias Gesicht. Aber all das ändert nichts. Ich denke nicht, frage mich nicht, ob es richtig oder falsch ist. Die Folgen interessieren mich nicht. Ich küsse ihn. Und in der Sekunde, als ich seine Lippen schmecke, ist da wieder das Feuerwerk in meinem Gehirn und Millionen winziger Explosionen auf meiner Haut. Jedes Härchen an meinem Körper richtet sich wie in Zeitlupe auf. Seine warmen Hände, die mich halten, sein Duft, der mich an eine Zeit erinnert, in der alles möglich zu sein schien. An eine Zeit, in der er mein Leben war.
Kapitel 20
Ich schließe die Haustür und lege meine Sachen ab.
„Du bist schon zurück?“ Tobias schaltet den Fernseher auf stumm und kommt auf mich zu. „Wie war der Termin?“ Er nimmt mich in die Arme. Eine Weile stehen wir einfach nur da. Ich spüre seinen Herzschlag und denke bei mir, dass es die richtige Entscheidung war. Bestimmt war es das. Er geht einen Schritt zurück und schaut mich an. „Ist alles okay, du wirkst irgendwie verstört.“
„Ich habe nur Hunger.“ Und während ich das sage, weiß ich, dass dieser simple Satz Fragen nach sich ziehen wird. Und ein Teil in mir scheint es darauf anzulegen, denn ich habe diese ewigen Lügen langsam satt.
„Wieso Hunger? Du warst doch gerade essen.“ Er mustert mich irritiert. Genau jetzt könnte ich reinen Tisch machen. Ich könnte ihm sagen, dass ich gar keinen wichtigen Termin hatte. Zumindest keinen geschäftlichen. Keinen, den ich nicht hätte verschieben können, oder absagen. „Süße, was ist denn los? Du bist ganz blass.“
„Ich war nicht essen.“
„Das verstehe ich nicht. Und wo warst du dann?“
„Ich war dort, habe es mir dann aber anders überlegt.“ Das ist nicht gelogen. Es ist nur nicht die ganze Wahrheit.
„Aber doch nicht etwa meinetwegen, oder?“
„Doch, deinetwegen.“ Und auch das ist nicht gelogen. „Machst du mir vielleicht jetzt ein Sandwich?“ Tobias lächelt und gibt mir einen Kuss. Und während ich ihm dabei zusehe, wie er mir ein üppiges Sandwich belegt, versuche ich zu begreifen, wie es soweit kommen konnte. Ich versuche zu verstehen, warum ich getan habe, was ich getan habe. Konnte mir Tobias nicht geben, was ich brauche? Oder war die Anziehungskraft einfach zu stark? Hat die Geschichte mit Julian überhaupt etwas mit Tobias zu tun? Ich meine, einmal abgesehen davon, dass ich ihn mit Julian betrüge. Oder sollte ich sagen, betrogen habe.
Ich habe heute Nachmittag mit Tobias geschlafen. Kann das sein? War das wirklich heute? Es war erst vor ein paar Stunden. Das gute Gefühl ist jedenfalls weg. So als hätte es dieses Gefühl nie gegeben. Ich habe es erstickt, es in die Flucht geschlagen.
Irgendwie ist das gestört, aber heute Morgen ging es mir besser. Da waren alle Fronten geklärt und das Leben war irgendwie vorhersehbar. Geordnet. Mit Tobias war ich verheiratet und mit Julian habe ich geschlafen. Das war simpel. Na gut. Ich habe nicht nur mit ihm geschlafen, aber das Prinzip war simpel. Mit Tobias war ich die Erwachsene, die Vernünftige, die Planerin. Und mit Julian die junge Wilde, die Lebendige, die Ungestüme, die Träumerin. So, als könnte ich nicht beides auf einmal mit nur einem Mann sein. Ich könnte mit Tobias nicht so sein, wie mit Julian und umgekehrt. Zumindest denke ich das. Versucht habe ich es ehrlich gesagt nie.
Ich muss zugeben, dass ich die Anja in Julians Gegenwart irgendwie lieber mag. Die ist zwar die böse Betrügerin und ich finde nicht richtig, dass sie nie an Konsequenzen denkt, aber sie ist auch diejenige, die mich überrascht, die Situationen einfach nutzt, die sich fallen lassen kann. Sie ist neugierig und mutig. Sie ist lebendig und frei. Diese Anja schüttelt alles ab. Sie lässt den Alltag, den Stress, die Arbeit, einfach alles hinter sich. Sie lässt all das zu Hause. Zu Hause bei
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