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434 Tage

434 Tage

Titel: 434 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
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worum dann?“, frage ich und schau ihn an. „Wenn es dir nicht um Sex geht, worum geht es dir dann?“
    „Um dich.“
     
Kapitel 25  
    In der Nacht, als ich Tobias zum ersten Mal betrogen habe, wusste ich genau, was ich tue, auch, wenn ich es gerne auf diese fremde Frau schiebe, die angeblich ganz ohne mein Zutun die Zügel übernimmt und die dreckige Realität mir überlasst. Die dreckige Realität war dabei erschreckenderweise meine Ehe. Die Wahrheit ist, ich bin diese Frau. Zumindest zum Teil. Ich wusste, was ich tue. Und ich wusste, was es bedeutet. Ich wollte der Versuchung widerstehen. Aber auch, wenn ich es versucht habe, bleibt die Frage offen, wo Betrug anfängt. Beginnt Betrug bei einem Kuss? Oder reicht das Verlangen danach?
    Ich weiß, dass ich Tobias betrogen habe. Das ist völlig klar und steht außer Frage. Aber um was genau habe ich ihn betrogen? Um die Wahrheit? Um sein als mein Ehemann ausschließliches Recht auf meinen Körper?
    Es ist schon faszinierend, wie unser Gehirn funktioniert. Der erste Betrug kostet die meiste Überwindung. Da denkt unsere Vernunft noch, dass sie uns davon abhalten kann. Wenn man es dann trotz aller Versuche es nicht zu tun, doch tut, lernt das Gehirn. Das zweite und dritte Mal sind noch schwierig, aber nach und nach wird es leichter. Irgendwann kommt der Punkt, an dem die Vernunft aufgibt, weil sie weiß, dass sie keine Chance hat. Und das Gehirn rechtfertigt dieses Verhalten mit Lügen. Ich habe nicht nur Tobias belogen. Ich habe vor allem mich selbst belogen. Und wenn einem das klar wird, wenn man realisiert, wie man sich die Realität schönlügt, wird es ganz plötzlich, völlig unvermittelt, unerträglich. So, als erwachte man aus einem seltsam realen Traum. Zumindest war es bei mir so.
    Ein paar gestohlene Nächte hätte ich vermutlich noch vertreten können. Ausrutscher. Ich hätte mir gesagt, dass es pure Lust war. Nichts weiter. Reine körperliche Begierde. Auch, wenn ich in meinem Inneren gewusst hätte, dass es nicht stimmt. Ich hätte es trotzdem geschafft, mich davon zu überzeugen.
    Der springende Punkt ist, es waren nicht nur ein paar Nächte. Irgendwann kamen zu den Nächten die Mittagspausen. Und dann noch die angeblichen Überstunden. Und irgendwann, und ich denke, dass da der wahre Betrug angefangen hat, kamen lange Gespräche. Diese Intimität zwischen Julian und mir. Diese Vertrautheit, das Lachen, die Diskussionen. Der eigentliche Betrug ist nämlich, dass Julian alles wusste. Zwischen uns gab es keine Geheimnisse. Er wusste von Tobias. Er wusste, dass ich verheiratet war. Tobias war als einziger unfreiwillig in dieser Dreierbeziehung. Er wusste nichts. Und das ist der wirkliche Betrug. Denn er hätte der Mensch sein sollen, mit dem ich alles teile. Meinen Körper, meine Geheimnisse, meine Ängste und Sorgen. Mein Leben. Und das habe ich lieber mit Julian geteilt. Und das schlimmste ist, dass ich das nicht kapiert habe. Ich habe mich viel zu sehr auf den Akt des Betrugs eingeschossen. So als wäre der Sex das Problem und nicht der Auslöser. Sicher, das war nicht in Ordnung, aber das war ganz nüchtern betrachtet eigentlich das kleinere Übel.
    …
    Ich fahre in die Tankstelle und parke. Ich habe vor acht Jahren mit dem Rauchen aufgehört. Und wieder weiß ich, dass ich mich gerade falsch entscheide und tue es trotzdem. Ich bin so armselig. Und ich frage mich, ob es allen Menschen so geht. Wissen die auch, dass das, was sie tun oder vorhaben falsch ist, oder bemerken es die meisten erst hinterher?
    Ich lege das Geld auf den Tresen und stecke die Schachtel und ein Feuerzeug ein, dann gehe ich zum Auto zurück und fahre los. Ich habe kein konkretes Ziel. Ich fahre nur. Und je weiter ich mich von unserem Haus entferne, desto besser geht mir.
    Nach etwa zwanzig Minuten begreife ich, wo ich hinfahre. Und ich bin amüsiert über mich selbst. Ich biege links ab und parke wenig später vor dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Ich steige aus und betrachte den schmalen gepflasterten Weg, der zur Haustür führt. Genau hier haben wir uns zum ersten Mal geküsst. Ich erinnere mich noch an den Morgenhimmel.
    Es ist schon komisch, aber ich habe ewig nicht mehr an dieses Haus gedacht. Weder an die Geschichte, die sich hier abgespielt hat, noch an meine Familie. Oder zumindest meine Familie, wie sie damals war.
    Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich zwanzig war. Im Grunde waren sie schon viel länger getrennt, auch wenn sie unter einem Dach gelebt

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