434 Tage
haben. Jeder wusste es. Damals habe ich mich immer gefragt, warum sie sich das angetan haben. Ich glaube, inzwischen kann ich es verstehen. Ich habe es das vergangene Jahr nicht anders gemacht. Meine Eltern waren Freunde. So wie Tobias und ich. Und auch meine Affäre hat nichts daran geändert, dass ich Tobias geliebt habe. Ich nehme an, dass das bei meinen Eltern auch so war. Zumindest bis mein Vater Lena kennengelernt hat. Dann kam die Scheidung. Und der Streit. Und der Verkauf des Hauses.
Ich bücke mich und lese den in verschnörkelten Buchstaben geschriebenen Namen auf dem Klingelschild. Bauer. Aha. Der Name Kraus hat mir auf diesem Schildchen um Einiges besser gefallen. Im Nachhinein betrachtet, war das einer der traurigsten Augenblicke meines Lebens. Und ja, ich weiß, dass viele Menschen viel Schlimmeres erleben. Das ändert nichts daran, dass zu dieser Zeit mein Glaube an die Liebe und die Ehe ziemlich ins Wanken geraten ist. Mit diesem Haus verbinde ich meine Familie. Und jetzt wohnen da Bauers. Als ich ein Kind war, war dieser Ort behütet und sicher. Ich hatte eine gute Kindheit. Wir haben gemeinsam zu Abend gegessen und gelacht. Meine drei Geschwister und ich haben uns hier oft gestritten. Und wir haben uns wieder vertragen. Ein beträchtlicher Bestandteil meines Lebens hat genau hier stattgefunden. Und nun wohnen Fremde in meinem Zuhause. Jetzt schreiben sie dort ihre Geschichte, ohne etwas von unserer zu wissen. Sie schlafen in meinem Zimmer und kochen in meiner Küche. Bei diesen Gedanken muss ich über mich lachen. Vielleicht, weil sie so kindlich sind.
Kapitel 26
Er zeigt einer Stewardess sein Ticket, dann dreht er sich noch einmal zu mir um. Und in diesem Augenblick, weiß ich, dass es das war. Die letzten fünf Jahre gehen hier zu Ende. Und dieses letzte Kapitel unserer Geschichte macht mich fertig.
Ich werde nach Hause fahren in unsere Wohnung. Und er wird währenddessen ein neues Leben anfangen. Ich werde in unserer Wohnung sitzen und an ihn denken. Und er wird das neue Leben auskosten. Ohne mich. Ich habe ihn gebeten zu bleiben. Und es hat mich Überwindung wirklich gekostet, das zu tun. Doch ich habe es gesagt. Ich habe gesagt Bitte bleib. Doch er ist gegangen.
Ich fahre die Rolltreppe hinunter. Eigentlich wusste ich immer, dass Julian nicht der Typ ist, der sich festlegt. Gut, wir sind seit fünf Jahren zusammen, oder sollte ich sagen, wir waren fünf Jahre lang zusammen, doch wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst wäre, dann würde ich mir eingestehen, dass es nur deswegen so lange gut gegangen ist, weil ich seinen Weg mitgegangen bin. Ich habe meinen vor etwa vier Jahren verlassen. Er hat alles vorgegeben. Die Route, die Geschwindigkeit, sogar die Schrittlänge. Und ich habe versucht, Schritt zu halten.
Ist das seine Schuld? Oder war es meine? Egal, wer Schuld hat, Fakt ist, dass ich ihn gebeten habe, nicht zu gehen. Ich habe ihn gebeten, sich hier ein Praktikum zu suchen. Aber nein, es musste ja New York sein. Ich wollte Journalismus studieren, aber meine Noten haben nicht gereicht. Das Witzige ist, dass Julian das nicht weiß. Ich habe ihm erzählt, dass ich versuche, einen Platz zu bekommen, er hat mich aber nie gefragt, ob es geklappt hat. Genau das meine ich. Er hat irgendwann damit aufgehört zuzuhören. Es ging nur um ihn. Sein Praktikum, sein Jura-Studium, seine Karriere, seine Zukunft. Irgendwie war da vor lauter Julian kein Platz für mich. Die Wahrheit ist, ich habe das nicht sehen wollen. Vielleicht, weil ich ihn dann hätte verlassen müssen, oder schlimmer noch, er mich verlassen hätte.
Ich glaube aber, das Schlimmste ist, dass er mich nie gefragt hat, ob ich mit ihm gehen will. Er wusste, dass ich nicht studiere, er wusste, dass mich nichts hier hält und trotzdem kam nie die Frage. Es kamen Ausflüchte, es kamen seltsame Vorwände, aber nicht die alles entscheidende Frage. Vermutlich, weil er wusste, dass ich ja gesagt hätte. So wie zu allem anderen. Ich wäre weiter seinen Weg mitgegangen, anstatt meinen eigenen zu suchen. Ich wollte das Gefühl haben, dass er mich ebenso liebt, wie ich ihn. Ich wollte, dass er allein bei der Vorstellung, ein Jahr ohne mich aushalten zu müssen, Atemnot bekommt. Doch so war es nicht. Stattdessen sagte er immer, das schaffen wir schon. Nein, Julian. Ich schaffe das nicht. Ich kann nicht mehr neben dir herhecheln, in der Hoffnung, dass es irgendwann einmal auch Platz für meine Wünsche und Träume gibt. Ich kann nicht länger
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