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434 Tage

434 Tage

Titel: 434 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
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ignorieren, dass du ausschließlich an dich selbst denkst. Ich habe immer versucht, mich zu schützen. Vor diesem einen Augenblick. Vor dem Moment, in dem du mich verlässt. In meiner Vorstellung war es immer wegen einer anderen Frau und nicht wegen eines Praktikums, aber es läuft auf dasselbe hinaus.
    Und obwohl ich so sehr versucht habe, mich vor dieser Situation zu schützen, ist es genau so gekommen. Mit dem klitzekleinen Unterschied, dass er nicht weiß, dass seine Entscheidung in dieses Flugzeug zu steigen, das Ende unserer Beziehung war.
    Er hätte vermutlich angerufen und er hätte auch geschrieben. Er hätte mir von der tollen Stadt, den offenen Menschen, der kosmopolitischen Umgebung, den Künstlern, der Architektur und all so was vorgeschwärmt. Und bei einem dieser Telefonate hätte er mir dann gesagt, dass die Distanz einfach doch zu viel wäre. Oder, dass er sich in eine andere verliebt hätte. Am besten nach elf Monaten, in denen ich ihm treu gewesen wäre. Oder er hätte sich am Ende des Praktikums entschieden, dort zu bleiben, weil man ihm ein fantastisches Angebot gemacht hätte, das er unmöglich hätte abschlagen können. Und genau deswegen habe ich heute Morgen am Flughafen meinen Brief eingeworfen. Er liegt gerade auch irgendwo auf diesem Gelände herum. Und auch er wird in einem Flugzeug nach New York gelangen und dann an Julians winziges Appartement zugestellt werden. Und dann wird er es wissen. Er wird wissen, dass seine Entscheidung in dieses Flugzeug zu steigen, das Ende unserer Beziehung war.
    Ich greife instinktiv nach dem Muschel-Anhänger. Das tue ich ständig. Doch sie ist weg. Da ist nur noch die Kette. Drei Jahre lang habe ich sie getragen. Jeden Tag und jede Nacht. Ich habe sie nicht ein einziges Mal abgelegt. Es wird eine Weile dauern, bis ich mich daran gewöhnt habe. Und ein Teil in mir bereut es, dass ich sie mit in den Umschlag gesteckt habe. Vielleicht war das ein Fehler.
     
Kapitel 27  
    Ich sitze im Auto und rauche eine Zigarette. Es wäre übertrieben zu behaupten, dass sie gut schmeckt, aber ich bilde mir ein, dass sie mir in diesem Moment gut tut. Und ich genieße sie. Vielleicht auch, weil ich das Rauchen Tobias zuliebe aufgegeben habe und es Tobias jetzt egal wäre. Es wäre ihm vermutlich auch egal, wenn ich mich von der Großhesseloher Brücke werfen würde. Überspitzt dargestellt.
    Es ist halb vier morgens. Normalerweise würde ich in drei Stunden aufstehen und duschen. Ich würde mich anziehen und frühstücken und dann würde ich mich von Tobias verabschieden. Ich würde in die Arbeit fahren. Eine Arbeit, in der ich verdammt gut bin, die mir aber leider nichts gibt. Und dann würde ich spätestens in der Mittagspause Julian anrufen.
    Ich will gerade losfahren, als mein Handy klingelt. „Tobias?“, frage ich erstaunt.
    „Wo bist du?“
    „Ich stehe vor dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin“, antworte ich und ziehe eine weitere Zigarette aus der Schachtel.
    „Ich habe mir Sorgen gemacht.“ Wie kann er sich Sorgen um mich machen? Nach allem, was ich getan habe. Nach all den Lügen? „Dir geht es also gut.“
    „Es geht mir beschissen, aber ich bin in Ordnung.“
    Eine Weile schweigen wir beide. Dann sagt er, „Da ist etwas, das mich seit Stunden beschäftigt.“
    „Und was?“, frage ich und zünde die Zigarette an.
    „Rauchst du?“
    „Was hat dich stundenlang beschäftigt?“, ignoriere ich ihn.
    „Bedeutet die Tatsache, dass du ihn heute versetzt hast, dass du dich für mich und unsere Ehe entschieden hättest?“ Das ist eine gute Frage. Und ich habe keine Ahnung. Vielleicht bedeutet es das. Vielleicht habe ich mich aber auch einfach für die Wahrheit entschieden. Und das bedeutet, dass ich mich letzten Endes für mich und gegen die Lügen entschieden habe. „Ich weiß, dass das im Grunde nichts ändert. Zumindest sollte es das nicht, weil ich dir nicht mehr vertrauen kann, aber es ist wichtig für mich.“
    „Ich konnte nicht mehr lügen“, sage ich schließlich.
    „Das heißt, du hast dich also nicht bewusst für unsere Ehe entschieden?“
    „Das heißt, dass ich mich bewusst gegen weitere Lügen entschieden habe.“
    „Verdammt noch mal, Anja, ich versuche dich zu verstehen. Ich versuche zu verstehen, was an dem dran ist, was du gesagt hast.“
    „An was?“
    „Na, an deinen Vorwürfen, dass ich so rational bin und nur mit dem Kopf liebe.“
    „Ich hätte das nicht sagen sollen“, sage ich seufzend. „Es war nicht fair, dir ein

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