434 Tage
gewusst, dass er die Liebe deines Lebens war. Aber ich wollte es nicht sehen.“
„Tobias, ich liebe dich.“
„Das glaube ich dir sogar.“ Er legt seine Hand auf meine. „Auf deine seltsame Art liebst du mich. Aber nicht, wie du ihn liebst.“ Gerade als ich Luft hole, legt er mir den Zeigefinger auf die Lippen. „Bitte tu das nicht.“
„Was soll ich nicht tun?“, frage ich schluchzend.
„Lügen.“ Tobias steht langsam auf und geht in Richtung Flur.
Wie kann er so ruhig sein? Keine Wut, keine Vorwürfe. Was hat das bitte mit Liebe zu tun? Oder wenigstens mit Gefühlen und Leidenschaft? Was ist mit Eifersucht? „Wie kannst du so ruhig sein?“, frage ich aufgebracht. „Ich habe dich ein Jahr lang betrogen und du bist kein bisschen wütend?“
„Jetzt habe ich also auch noch falsch auf deine Affäre reagiert? Das tut mir wirklich leid“, sagt er sarkastisch.
„Du willst wissen, warum ich es getan habe?“
Tobias bleibt stehen und dreht sich um. „Warum?“
„Genau deswegen. Weil du so rational bist, du handelst nie nach Impulsen, bist nie spontan, du liebst nur mit dem Kopf.“ Ich stehe auf. „Sicher habe ich dich betrogen, aber du bist an dieser Geschichte nicht ganz unbeteiligt.“
„Ach so? Jetzt habe ich es provoziert?“
„Wenn du so willst, ja.“
„Du bist ja völlig geisteskrank.“
„Was ist mit uns passiert?“, frage ich und gehe auf ihn zu.
„Keine Ahnung“, sagt er seufzend. „Du hast dich so verändert.“
„Und du bist so gleich geblieben.“ Und in diesem Augenblick scheint es mir wie Schuppen von den Augen zu fallen. Ich wollte den sicheren Hafen. Ich wollte den Fels in der Brandung. Zumindest dachte ich das. Ich wollte das Gegenteil von Julian. Einen verlässlichen Mann, einen Anker. Keinen Dramatiker. Und schon gar keinen Träumer. Und genau das habe ich bekommen. Einen Pragmatiker, der meine Seele liebt. Jemanden, mit dem ich alt werden kann. Mit Werten und Prinzipien. Und dann begegne ich Julian. Und ich fühle mich lebendig. Ich sauge seine Leidenschaft in mich auf und schwelge in Tagträumen. Tobias hat recht. Ich liebe Julian. Habe ich immer. Und ich habe nie wirklich damit aufgehört. Das Problem war und ist, dass ich Julian nicht wirklich traue. Ich wollte den Hafen nicht verlassen und gleichzeitig an Bord gehen. Und ich konnte mich nicht entscheiden zwischen dem Sog des Abenteuers und der Geborgenheit. Ich wollte die Sicherheit und den Nervenkitzel und deswegen konnte ich weder Tobias verlassen noch die Affäre mit Julian beenden.
Tränen laufen über mein Gesicht. Tränen der Enttäuschung und der Erkenntnis und der Ernüchterung über meine eigene Täuschung. Das Wohnzimmer wirkt in diesem Moment noch größer als es eigentlich ist und Tobias scheint unendlich weit weg. Vielleicht, weil es sich so anfühlt. Was wird jetzt passieren? Ich meine, nichts ist mehr so, wie es war. Vielleicht wollte ich das.
Dieses Haus ist mein Refugium. Tobias hat fast drei Jahre an den Entwürfen gefeilt, bis alles perfekt war. Ich wollte große Fenster und habe sie bekommen. Ich wollte offene, luftige Räume. Ich habe sie bekommen. Ich habe alles von ihm bekommen. So wie ein Kind. Seine Liebe zum Detail und mein Geld haben diesen Traum verwirklicht.
„Ich liebe dieses Haus“, sage ich nach einer Weile. Tobias steht noch immer regungslos am Treppenabsatz und schaut mich an. „Jedes Detail unterstreicht, wer du bist. Du hast dieses Haus entworfen, wir haben es gemeinsam gebaut...“
„Wo wir gerade dabei sind“, sagt er und schaut mir direkt in die Augen. „Ich will, dass du ausziehst.“
„Du willst das Haus?“
„Ich habe es entworfen.“ Sein Tonfall ist bestimmt. „Es ist mein Haus.“
„Wie man es nimmt“, sage ich ebenso bestimmt. „Ich habe es bezahlt.“
„Du hast was?“, fragt er mit weit aufgerissenen Augen.
„Vergiss es“, sage ich und seufze. „Das Haus gehört dir.“
Kapitel 23
Es ist unbeschreiblich heiß. Und wir wurden gewarnt. Alle haben uns davon abgeraten, in diese Dachgeschosswohnung zu ziehen. Und damit meine ich wirklich jeden, den wir kennen. Kai meinte, wir sterben im Schlaf an einem Hitzschlag. Und Caro war der Auffassung, dass man in so einer winzigen Wohnung unmöglich zu zweit leben kann. Julians Eltern haben nichts gesagt, doch ihre Blicke haben keinen Zweifel daran gelassen, dass diese Wohnung nichts für ihren Sohn ist. Und meine Eltern. Na ja. Sie haben versucht, aufmunternd zu schauen, aber es wurde
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