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434 Tage

434 Tage

Titel: 434 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
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ihrem Gesicht gespannt bin. Dann dreht sie sich zu mir und lächelt. Und dann küsst sie mich. Einfach so. Im ersten Moment war ich wie versteinert, doch dann habe ich den Kuss erwidert. Ich habe sie gern geküsst. Und ich dachte, das wäre der Moment, auf den ich so lange gewartet habe. So, als wäre dieser Kuss eine Art Befreiung von dir. Wir haben miteinander geschlafen. Und es war gut. Es war wirklich gut. Das Problem ist nur das, was es so gut gemacht hat. Ich dachte ehrlich, Claire wäre, was ich brauche. Und das nicht nur in diesem Augenblick, sondern generell.
    Ich schlafe also mit ihr, bewege mich in ihr, spüre ihren Körper und rieche ihre Haut. Ich höre ihr Stöhnen unter mir. Und dann sehe ich dein Gesicht. Gestochen scharf. So als wärst du die, die unter mir liegt. Als würde ich mit dir schlafen. Das war schrecklich. Vor allem, weil ich genau wusste, dass es für sie wirklich um mich ging. Doch anstatt aufzuhören, mache ich weiter. Ich betrachte dich, während ich mit ihr schlafe. Und das, was mich daran am meisten anwidert, ist, dass es dann noch besser war. Es war absolut fantastisch.
    Sie hat danach gesagt, dass es sich so angefühlt hat, als hätte sie mit zwei Männern geschlafen. Und ich dachte, ich sterbe. Sie hat es gespürt. Sie hat nur nicht verstanden, was wirklich passiert ist. Und nicht nur, dass sie es nicht weiß, sie fand die zweite Version von mir besser. Sie hat gesagt, es war nicht nur Sex, es war Liebe und eine Art von Leidenschaft, die sie fast erschlagen hat. Und dann hat sie mich geküsst.
    Du siehst, worauf ich hinaus will. Sie denkt, ich liebe sie. Und ich dachte, ich liebe sie. Und irgendwie tue ich das auch, aber eben nicht so, wie sie mich liebt. Ich liebe sie wie eine Freundin. Eine sehr gute Freundin, die mich zugegebenermaßen auch körperlich anzieht. Aber mehr ist es nicht. Und dafür hasse ich dich. Du bist noch immer in meinem Kopf. Ich dachte, es wäre vorbei. Und damit meine ich nicht diese geheuchelte Wahrheit, die man sich selbst vorbetet, weil man sie einfach so gerne glauben will. Ich habe es wirklich geglaubt. Und dann, aus heiterem Himmel erwacht ein Teil in meinem Hirn plötzlich aus einer Art Wachkoma und alles ist wieder so, wie es war. Du bist wieder da. Und du bist noch genauso schön wie damals.
    Als ich heute Morgen wach wurde, lag Claire schlafend neben mir. Und sie sah so friedlich und glücklich aus. Ich habe sie betrachtet. Beobachtet, wie sich ihre Brüste gleichmäßig heben und senken. Und da wusste ich es. Meine Zeit in New York ist vorbei. In dem Moment, als ich mit ihr geschlafen habe und dich gesehen habe, war es vorbei. Ich habe nur leider keine Ahnung, wie ich ihr das erklären soll.
    Während ich hier sitze und dir schreibe, liegt sie in meinem Bett und schläft. Sie hat einmal gesagt, wir wären das perfekte Paar. Wir hätten eine ehrliche Ehe, eine Ehe ohne Geheimnisse. Eine Ehe voller Kunst und Kreativität. Sie wird denken, dass dieser Morgen der erste unserer Beziehung ist. Vielleicht denkt sie sogar, es ist der erste vom Rest ihres Lebens. Und ich werde ihr sagen, dass ich zurück muss. Vielleicht werde ich lügen. Vielleicht sage ich ihr, dass ich ein tolles Angebot bekommen habe. Vielleicht schiebe ich es einfach auf die Arbeit. Nicht nur, dass das gelogen wäre, sie wüsste auch noch, dass es gelogen wäre. Ich arbeite bei der Times. Ich mache einen Teil der Illustrationen. Das war mein Traum. Und sie war dabei, als er sich erfüllt hat. Sie hat gleich morgens um sechs eine Ausgabe gekauft. Das Cover hängt in ihrer Wohnung. Also. Lügen bringt nichts. Das wäre eigentlich nur eine Beleidigung ihrer Intelligenz. Außerdem wäre ich dann nicht besser als du. Ich würde es zwar von Angesicht zu Angesicht klären, aber ich würde ihr einen Haufen erfundener Lügengeschichten auftischen. Und auch, wenn dein Brief feige war, muss ich dir zugestehen, dass du ehrlich warst, auch, wenn deine verschrobene Sicht der Realität nicht unbedingt immer der Wahrheit entsprach. Du dachtest zumindest, dass es so war.
    Anja, was soll ich ihr nur sagen? Wie sagt man jemandem, dass etwas, das nie wirklich angefangen hat, vorbei ist?
    Du denkst natürlich, ich sollte die Wahrheit sagen. Aber was weißt du schon? Du hörst auf einen Dämon und ein Eichhörnchen – du bist vielleicht nicht der beste Ratgeber. (Tut mir leid, das war nicht fair. Du weißt, ich habe den Dämon und auch das Eichhörnchen immer geliebt. Vergiss diesen Teil einfach.)
    Wie

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