434 Tage
auch immer. Wie es aussieht, liebe ich dich noch immer. Wunderbar. Warum sollte sich daran auch etwas ändern? Sind ja nur drei Jahre. Und während ich begreife, dass du eben leider nicht nur ein gemeiner Geist meiner Vergangenheit bist, hast du wahrscheinlich schon längst geheiratet. Ich wette, du hast weitergemacht. Zumindest so, wie du denkst, dass man weitermacht. Aber wer weiß, vielleicht tue ich dir auch unrecht? Vielleicht hast du dieselben internen Kämpfe. Und vielleicht weißt du, wie es sich anfühlt, jemandem vor den Kopf zu stoßen, der es nicht verdient hat. Jemandem, der einen liebt, den man aber selbst leider nur wirklich mag. Vielleicht stellt sich dir diese Frage auch gar nicht. Vielleicht hast du nämlich tatsächlich jemanden gefunden, den du liebst und vielleicht bin ich wirklich ein Teil deiner Vergangenheit, mit dem du längst abgeschlossen hast. Und das nicht nur auf diese geheuchelte Art der Wahrheit, die man sich selbst vorbetet, weil man sich wünscht, es endlich selbst zu glauben. Vielleicht ist es von deiner Seite wirklich vorbei.
Da mir dieser Gedanke aber überhaupt nicht gefällt, beschließe ich, dass du einfach aus den falschen Gründen den richtigen geheiratet hast. Jemanden, der dir aus der Hand frisst und von dem du weißt, dass er dich nie verlassen wird. Jemanden, der dich bis zur Selbstaufgabe liebt. Im Grunde kann einem dieser Kerl nur Leid tun. Wenn du mich nämlich irgendwann wiedersiehst, wird die ganze Illusion, die du dir zurecht gelogen hat, wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Oder aber meine Welt wird in sich zusammenbrechen, weil meine eigenen Lügen über die Jahre zu einer Art Parallelrealität mutiert sind und ich einsehen muss, dass nichts davon stimmt.
Der Moment der Wahrheit ist gekommen. Oder aber ein Moment der Lüge. Gleich werde ich es wissen. Denn Claire ist aufgewacht.
Eifersucht brennt in meinem Bauch. Ich weiß, dass ich mich auf die Stelle konzentrieren sollte, in der ihm klar wird, dass er mich noch liebt. Und ich weiß, dass ich kein Recht dazu habe, eifersüchtig zu sein. Das ändert nichts daran, dass mein Dämon gerade ausrastet. In meiner von Verdrängung geprägten Welt hatte Julian keinen Sex. Nie. Nie und mit niemanden. Mir ist durchaus bewusst, dass das absolut weltfremd ist, aber dann ist das eben so. Das war meine Taktik und sie hat eine ganze Weile sehr gut funktioniert.
Bei der Vorstellung, allerdings, wie er auf ihr liegt und sie die Liebe spürt , könnte ich ausrasten. Er hätte es auch weniger bildhaft beschreiben können. Einfach ein, ja und dann haben wir miteinander geschlafen, hätte mir wirklich gereicht.
Ich atme tief durch und beginne die letzten Absätze noch einmal zu lesen, weil meine Augen sie zwar überflogen, aber nicht verstanden haben. Ich war zu sehr abgelenkt von Julian auf Claire.
Doch bevor ich auch nur die ersten beiden Zeilen gelesen habe, unterbricht mich das Klingeln meines Handys. Und es ist meine Mutter.
Kapitel 37
„Anja?“ Meine Sekretärin streckt ihren Kopf zur Tür herein. „Herr Plöger ist da.“
„Danke, Kathrin. Ich komme sofort.“
Ich lege den Kalender zur Seite und stehe auf. Und während ich in meinen Blazer schlüpfe, verfluche ich die Tatsache, dass ich noch immer an dieses Datum denke. Ich bin wirklich ein hoffnungsloser Fall.
Meine Schritte hallen durch den Korridor. Ich frage mich, was Julian gerade tut? Vermutlich ist er glücklich verheiratet und erwartet sein erstes Kind. Vielleicht ist er inzwischen Partner in einer amerikanischen Kanzlei. Wentwood Price Cooper & Bartig. Er hat bestimmt so ein edles goldenes Namensschild auf seinem blankpolierten Vollholzschreibtisch. Und eine Sekretärin, die sich um seine Pflanzen kümmert und ihm den Kaffee bringt. Seine Frau heißt sicher Madlyn oder April und sieht umwerfend aus. Sie hat blondes, glänzendes Haar und ein perfektes amerikanisches Gebiss. Mein Gott, ich bin so lächerlich. Ich erkenne einen Mann Mitte dreißig, der verlassen im Flur steht. Und dieser verlassene Ausdruck in seinem Gesicht erinnert mich spontan an mich selbst. „Herr Plöger.“ Ich strecke ihm die Hand entgegen.
„Frau Kraus, richtig?“
„Ja, richtig.“ Ich deute in Richtung Konferenzzimmer. „Wenn Sie mir bitte folgen würden.“ Er lächelt. Und dieses Lächeln ist angenehm und zurückhaltend. Es ist leise und aufrichtig. „Wo sind Ihre Modelle?“
„Die hat mir eine junge Frau gerade abgenommen und ist damit in diesem Flur
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