434 Tage
verschwunden“, sagt er noch immer lächelnd.
„Sie bekommen sie wieder, versprochen.“ Was rede ich denn da? Mein Dämon scheint sich dasselbe zu fragen, denn er schüttelnd seufzend den Kopf. Er hat es schon immer gehasst, wenn ich mit diesem Büro-Humor anfangen habe. Und ich muss ihm recht geben, es ist wirklich unterste Schublade. „Wollen Sie einen Kaffee? Oder ein Wasser?“
„Einen Kaffee nehme ich gern.“
„Normaler Kaffee, Cappuccino, Latte Macchiato? Oder vielleicht einen Espresso?“, frage ich und lächle mein Geschäfts-Lächeln.
„Am liebsten einen Espresso.“
…
„Und wer war der gutaussehende Mann, mit dem du dich so lange im Konferenzzimmer versteckt hast?“
„Wer?“, frage ich irritiert. „Ach so, Herr Plöger.“ Laura grinst mich an. „Ich habe mich nicht mit ihm versteckt. Wir hatten eine Besprechung.“
„Aha. Und was macht Herr Plöger so?“
„Er ist Architekt.“
„Dann hat er bestimmt geschickte Finger.“ Laura schmunzelt. „Er hat schöne Hände. Findest du nicht, dass er schöne Hände hat?“
Es stimmt, die hat er. „Ist mir nicht aufgefallen.“
„Was ist nur los mit dir?“
„Was meinst du?“
„Anja, ich hab dich wirklich gern. Das weißt du, oder?“ Ich nicke. „Und ich weiß, dass du das nicht hören willst...“
„Dann sag es nicht“, unterbreche ich sie.
„Freunde sind aber dazu da, auch die Dinge zu sagen, die man nicht hören will.“
Ich seufze. „Gut, dann sag es.“
„Ich weiß, wie du wirklich bist. Ich kenne dich. Aber, wenn man dich nicht kennt, dann bist du diese wunderschöne Frau mit dem leeren Gesicht. Du wirkst kalt und distanziert und irgendwie... ich weiß nicht...“
„Irgendwie was?“
„Verbittert.“ Einen Augenblick sage ich nichts. Ich überspiele die Tatsache, dass ich gerade zu Boden gegangen bin. Das Kind in mir weint lautlos. Es schirmt sein Gesicht ab, weil es weiß, dass es stimmt. „Ich sage das nicht, um dir wehzutun.“
„Das weiß ich.“ Ich spüre das Brennen in den Augen. Dieses Brennen, das die unterdrückten Tränen ankündigt.
„Du gefällst ihm.“
„Wem?“, frage ich irritiert und schlucke.
„Herrn Plöger.“
Ich schaue sie ungläubig an. „Ach was.“
„Doch, das tust du. Und ich glaube, er gefällt dir auch.“
Kapitel 38
Ich lege den Brief auf meinen Schreibtisch. Alles, was Julian schreibt, ist wahr. Jedes Wort. Ich bin fassungslos. Fassungslos darüber, dass er mich besser kannte als ich mich selbst. Ich habe den ersten Mann geheiratet, bei dem ich mir sicher war, dass ich ihm irgendwie überlegen bin. Vielleicht ist überlegen das falsche Wort. Vielleicht ging es mehr um die Gefühle. Ich wusste, dass Tobias mich liebt. Ich hatte keinen Zweifel daran. Und deswegen hat mein Bewusstsein sein Okay gegeben. Einfach, weil es wusste, dass Tobias der Typ Mann ist, der mich nicht verlassen würde. Er hat mich mehr geliebt. Das ist der springende Punkt. Das hat mir die Sicherheit gegeben, die Julian mir damals genommen hat. Und ich denke, tief in unserem Inneren, haben wir das beide gewusst. Tobias wollte es nicht sehen und ich habe einfach nicht so weit in mein Inneres geschaut. Alles, was da drin ist, ist potentiell gefährlich und könnte unangenehm sein. Deswegen lässt man das Innere lieber da, wo es hingehört. Zumindest so lange man kann. Und dann kam Julian. Und bis zu diesem Augenblick hat Tobias und mir die Gewissheit gereicht, dass wir gut zusammen sind. Das, was wir hatten, war ja auch gut. Es war alltagstauglich und bodenständig. Es war sicher. Ein sicherer Hafen eben. Ein Fels in der Brandung. Und Julian hat das gewusst. Er hat gewusst, dass ich mir einreden würde, dass das genau die Art von Mann ist, die ich brauche. Eben das Gegenteil von ihm. Wobei das auch nicht ganz stimmt. Denn, wenn man es genau nimmt, habe ich mich bei niemandem wohler gefühlt als bei Julian. Dieses Gefühl habe ich nur vorsichtshalber ganz tief in meinem Inneren vergraben. Und es dort langsam verrotten lassen. So, als wäre es dann weniger wahr.
Als ich gerade Brief ‚#6’ aus dem Umschlag ziehe, klingelt mein Handy.
„Hallo?“
„Hallo, ich bin’s.“ Tobias klingt nicht gut. Seine Stimme wirkt ermattet. „Wieso hast du mich nicht geweckt, als du nach Hause gekommen bist?“
Kurz frage ich mich, woher er überhaupt weiß, dass ich zu Hause war, doch dann fällt mir der Blazer ein, den ich auf dem Bett habe liegen lassen. „Ich habe es nicht übers Herz gebracht“,
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