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434 Tage

434 Tage

Titel: 434 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
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wenn die Filme inzwischen in HD ausgestrahlt werden. Die Botschaft ist noch immer dieselbe.
    Und deswegen warten wir auf die eine große Geste, die uns zeigt, dass wir eben doch zu jeder Liebes-Elite gehören, zu der wir schon immer gehören wollten. Und zugegeben, es gibt sie schon, diese Ausnahme-Geschichten. Diese Geschichten, in denen zwei Menschen sich über den Weg laufen und der eine für den anderen sein Leben umkrempelt. Meine Freundin Connie hatte so eine Geschichte. Sie hat Jaques in Canada kennengelernt. Und auf einmal war alles anders. Aus geplanten vier Wochen Toronto wurden acht Jahre, ein Trauschein und drei Kinder. Und dann letztes Jahr die Scheidung. Da, wo im Film der Abspann anfängt, geht das Leben nämlich einfach erbarmungslos weiter. Und das, was es ausmacht, sind meistens nicht die großen Gesten, sondern die Kleinigkeiten.
    Und ich glaube Tobias ist so ein Mann der vielen Kleinigkeiten. Vielleicht ist er genau das, was ich brauche. Einen kleinen Augenblick denke ich an Julian. In meiner jugendlichen, naiven Sichtweise war er immer beides. Der Typ für die großen Gesten und für die Kleinigkeiten. Eben die Liebe meines Lebens. Pah. Wer findet schon die Liebe seines Lebens mit siebzehn? Kein Mensch. Da ist Mitte zwanzig weitaus realistischer. Und Tobias ist der erste Mann, der es schafft, überhaupt in die Nähe meines Schutzpanzers zu kommen. Das muss doch etwas bedeuten. Ich meine, da waren viele Männer, aber keiner hat mich interessiert. Und mit Tobias ist das anders. Bei ihm geht es mir gut. Ich kann ich selbst sein. Und das konnte ich die vergangenen Jahre eigentlich nur vor mir selbst. Und vielleicht vor ein, zwei guten Freunden. Und vor Julian natürlich. Aber der zählt nicht. Zumindest nicht mehr.
     
Kapitel 40  
    Ich kann nicht fassen, dass ich Julian nie gefragt habe, was er beruflich macht. Ich habe ihm oft von meiner Arbeit und meiner Abscheu davor erzählt, aber ich habe ihn nie nach seiner gefragt. Gut, ich habe gewusst, dass er umgeschult hat. Er hat es mir erzählt. Aber ich habe nie gefragt, was er eigentlich tut.
    Wenn man es genau nimmt, weiß ich fast nichts von ihm. Oder ich wusste nichts von ihm. Bis gestern. Bis zu diesen Briefen. In denen ich mehr über ihn erfahren habe als im vergangenen Jahr. Und die hat er mir nur gegeben, weil ich ihn verlassen habe. Oder nicht aufgetaucht bin, wie man es nimmt. Warum hat er nie etwas gesagt? Vielleicht wäre alles anders gelaufen, wenn er mit mir geredet hätte. Andererseits, hätte ich das zugelassen? Vermutlich nicht. Ich hätte schreiend das Hotelzimmer verlassen, weil mich die panische Angst überfallen hätte. Dann hätte ich ja eine Entscheidung treffen müssen und jeder, der mich kennt, weiß, dass Entscheidungen nicht meine Spezialität sind.
    Mein Blick fällt auf die Uhr. Wenn ich gewusst hätte, wie lange es dauert, persönlich zu kündigen, hätte ich eine Mail geschickt. Ich ziehe den nächsten Brief aus dem Umschlag.
    Liebe Anja,
    ich denke, ich habe recht gehabt. Ich bin wieder zurück in München. Ich hätte nicht gedacht, dass alles so einfach werden würde. Meine Referenzen haben mir alle Türen bis zum Anschlag geöffnet und ich konnte mir quasi aussuchen, wo ich arbeiten will. Ich hätte keine Mappe gebraucht. Mein Ruf eilt mir voraus. Na, so was.
    Ich habe eine Arbeit. Ich verdiene wirklich gut und ich habe alle Freiheiten. Eine Wohnung habe ich auch. Die Abstellkammer ist ungefähr so groß wie unsere erste Wohnung. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass ich meine neue Wohnung lieber mag.
    Ich bin durch die Straßen von München geschlendert und habe mich all den bittersüßen Erinnerungen hingegeben. Ich habe mich gefühlt wie in einem anderen Leben. So wie in einem Film. Das hier ist wie eine Rückblende, die es dem Zuschauer ermöglicht, sich in den Hauptdarsteller und seine Situation hineinzuversetzen. Ich habe ganz vergessen, wie viel Himmel man in München sieht. Das Blau war überall. Keine störenden Hochhäuser, kein Tunnelblick durch Häuserschluchten, keine verspiegelten Fassaden, keine vollgestopften Straßen. München ist wie ein sehr sauberes Puppenhaus. Alles ist so geregelt und leise. Sogar der Berufsverkehr ist andächtig still im Vergleich zu New York.
    Na, wie dem auch sei, ich habe also eine Wohnung und einen Job gefunden. Und jetzt, wo alles geklärt ist, habe ich angefangen nach dir zu suchen. Doch keine Spur von Anja Kraus. Und da dämmerte es mir. Vermutlich heißt du gar nicht

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