434 Tage
lassen. Er sagt, dass ich im Grunde etwas völlig anderes will. Er sagt mir, dass ich keine Angst haben muss. „Das ist ein liebes Angebot“, sage ich mit fester Stimme. „Aber es kommt leider ein paar Jahre zu spät.“
„Anja, meine Liebe, so etwas dauert eben seine Zeit.“
„Es dauert aber bei manchen länger als bei anderen...“
„Gut, ich gebe dir recht, es wäre eigentlich vor einem Jahr bereits überfällig gewesen, aber da waren die Zeiten turbulent und...“
„Andreas, ich wollte dich nicht wegen einer Partnerschaft sprechen“, unterbreche ich ihn, weil ich weiß, dass er mir sonst einen schier endlosen Monolog über die wirtschaftlich unsicheren Zeiten halten wird.
„Sag’ nicht, dass du schwanger bist.“ Er klatscht in die Hände. „Herzlichen Glückwunsch.“
„Ich bin nicht schwanger.“
„Aber du bist doch hoffentlich nicht krank?“
„Nein, Andreas, ich kündige.“
Stille. Sie ist allumfassend und allgegenwärtig. Sein Gesicht wirkt unecht, so, als wäre es aus Knete oder Wachs. „Aber... aber warum?“
„Es ist einfach der richtige Zeitpunkt.“
„Aber Anja, das ist Wahnsinn, du hast hier einen sicheren Arbeitsplatz, wir bieten dir eine Partnerschaft, wir können auch über dein Gehalt noch einmal reden.“
„Vor einem Jahr hätte ich dir recht gegeben, aber jetzt nicht mehr.“
„Hast du etwas anderes?“ Sein Gesicht ist knallrot.
„Was spielt das für eine Rolle?“, frage ich lächelnd. Mein Dämon strahlt. Und wenn er glücklich ist, bin ich es auch. Als Andreas gerade etwas sagen will, greife ich nach meiner Tasche und stehe auf. „Ich hoffe, du legst mir keine Steine in den Weg.“ Ich klinge gelassen und ruhig. „Ich möchte wirklich, dass wir im Guten auseinander gehen.“
…
Ich setze mich ins Auto und fühle mich fantastisch. Und das verdanke ich Julian. Ich verdanke es seinen Briefen, die mich wieder an die Anja erinnert haben, die ich einmal war. Ich verdanke es den vielen gestohlenen Nächten, die ich mit ihm verbracht habe.
Mein Handy klingelt. Tobias. Auch das noch. Nein, den kann ich jetzt wirklich nicht brauchen. Ich schalte auf stumm, dann ziehe ich den Brief hervor. Ich überfliege die Zeilen, dann entdecke ich den Absatz, bis zu dem ich ihn gelesen habe.
Ich habe Herrn Lakcovic von dir erzählt, und davon, dass wir einmal dort gewohnt haben. Wenn es nach ihm gegangen wäre, würde ich jetzt vermutlich noch immer bei ihm sitzen und wir würden uns unterhalten und Kaffee trinken. Ich glaube, er hätte mich augenblicklich mietfrei bei sich einziehen lassen. Aber auch, wenn mir Herr Lakcovic wirklich sympathisch war, in einem Bett hätte ich nicht mit ihm schlafen wollen.
Ich denke ja, er ist einsam. Wahrscheinlich bekommt er nicht oft Besuch. Vermutlich ist er nach Deutschland gekommen, weil er dachte, hier bessere Chancen zu haben. Hm. Na, irgendwann habe ich mich dann doch losreißen können, musste aber versprechen, ihn wieder zu besuchen, was ich auch vorhabe. Als ich dann im Flur stand, habe ich ihm den Schlüssel gezeigt. Wir haben ausprobiert, ob er noch sperrt, aber es war ein neues Schloss. Eigentlich wundert es mich, dass mich das gewundert hat. Damit war zu rechnen. Die Tatsache allerdings, dass dort nun ein Herr Lakcovic wohnt, ist schon irritierend. Das letzte Mal, als ich diese Wohnung verlassen habe, war es noch meine Wohnung. Und ich wusste ja nicht einmal, dass es das letzte Mal sein würde.
Wie auch immer. Ich habe den Schlüssel behalten. Vorerst. Am Abend habe ich ihn dann im Affekt in die Isar geworfen und es wenig später bereut. Vermutlich ging es dir so, als du mir den Kettenanhänger zurück geschickt hast. Würde zu dir passen.
Was soll ich sagen. Ich bin wieder zurück. Und ich habe mir etwas anderes erwartet. Oder erhofft. Ich stelle meine Suche nach dir jetzt jedenfalls ein. Entweder wir laufen uns irgendwann zufällig über den Weg, oder eben nicht. München ist ja überschaubar, es wäre also tatsächlich möglich. Und wenn nicht, dann sehe ich das als Zeichen. Ich bin deinetwegen zurückgekommen und mehr kann ich im Augenblick nicht tun. Stimmt nicht ganz, aber das, was ich tun könnte, will und werde ich nicht tun.
Ich werde einfach darauf hoffen, dich zu sehen, oder aber die eigentliche Frau meiner Träume zu treffen und festzustellen, dass es eben doch nicht du warst. Das wäre wirklich erfrischend.
Ich weiß, irgendwie ist das ziemlich erbärmlich, aber ich denke an dich.
Julian
Kapitel 41
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