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434 Tage

434 Tage

Titel: 434 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
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    Tobias Wohnung ist freundlich und aufgeräumt. Genau wie er. Sie ist ohne viel Schnickschnack. Simpel und durchdacht. Tobias hat sie vor drei Jahren gekauft und umgebaut. Es hängen nur wenige Bilder an den Wänden. Sie sind abstrakt und wild. Manche sind fast ein bisschen unheimlich. Sie haben keine Ordnung, sie sind einfach ungestüm und irgendwie bedrohlich. Ein Bild sticht besonders heraus. Die Farben und die Kompositionen sind aggressiv und abgründig. Mein Dämon dreht sich weg, so als würde er den Anblick nicht ertragen. Es läuft mir eiskalt über den Rücken und auch ich wende mich ab. Irgendwie ist es furchteinflößend. Und das passt nicht zu Tobias. Kein bisschen.
    Nachdem er mir die Wohnung gezeigt hat, setze ich mich zu ihm in die Küche. „Das Essen ist jeden Augenblick fertig“, sagt er und hetzt zu den Töpfen zurück. „Dauert nur noch ein paar Minuten.“
    „Kein Problem“ Als er sich bückt, um einen Blick in den Ofen zu werfen, ertappe ich mich dabei, wie ich seinen Hintern begutachte, was meinem Dämon nicht zu passen scheint, denn er stößt mich unsanft in die Seite. „Kann ich dir helfen?“
    „Das fehlte noch“, sagt er und kostet die Sauce ab. „Dass ich dich zum Essen einlade und dann kochen lasse.“
    „Es stört mich nicht“, sage ich und lächle.
    „Mich würde es aber stören.“
    „Ich komme mir aber blöd vor, wenn ich hier nur rumsitze und dir beim Arbeiten zuschaue.“
    „Trink einfach einen Schluck Wein und entspann’ dich.“ Sagt er und zieht ein Blech aus dem Ofen. „Wir können in einer Minute essen.“
    …
    Ich lege das Besteck zur Seite und seufze. „Das war fantastisch.“
    „Findest du?“, fragt er nervös. „Das Fleisch war nicht zu hart?“
    „Es war fantastisch.“
    „Puh. Da bin ich erleichtert.“
    „Du hättest dir meinetwegen wirklich nicht so viel Mühe machen müssen.“
    „Ich will seit vier Monaten mit dir essen, ich hatte also genug Zeit, mir etwas zu überlegen.“
    „Du willst seit vier Monaten mit mir essen?“
    „Seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe.“ Seine Ehrlichkeit irritiert und beeindruckt mich. Und sie wirkt kein bisschen aufgesetzt. Man kennt das ja, dass ein Mann einem lauter schöne und wohlklingende Sachen ins Ohr säuselt, wenn er dadurch erwarten kann, einen ins Bett zu kriegen. Bei Tobias scheint es nicht darum zu gehen.
    Will ich das? Ich meine, ein Teil in mir will das schon, aber was ist mit dem anderen? Wenn ich das erst einmal getan habe, gibt es kein Zurück mehr. Blödsinn. Es gibt immer ein Zurück. Ich könnte gehen, ohne ein Wort zu sagen. Aber das wäre schäbig und ihm gegenüber nicht fair.
    Wenn ich es mir recht überlege, gab es seit Julian nur unbedeutende Bettgeschichten. Es waren austauschbare Männer ohne Gesicht. Da war kein Gefühl. Alles war kalkuliert und berechenbar. Und egal, wie gut oder schlecht es war, danach habe ich mich jedes Mal leer und allein gefühlt. Die Lust wurde befriedigt, aber meine Seele war trotzdem einsam. Ich habe mit ihnen geschlafen, bin aber ohne sie aufgewacht. Und das war es, was ich wollte. Aber ganz tief in mir drin habe ich mir jemanden gewünscht, neben dem ich gerne wieder wach werden will. Jemanden, an dessen Schulter ich mich kuscheln kann. Jemanden zum Reden. Und jedes Mal, wenn ich mit einem dieser gesichtslosen Männer geschlafen habe, war ich am nächsten Morgen die Hure, die ich nie sein wollte. Ich habe mich verkauft, ohne Geld dafür zu verlangen. Dieses Mal wäre das anders. Doch genau vor diesem anders fürchte ich mich. Vielleicht sogar noch mehr, als vor der Leere, die ich schon kenne. Denn in dem Augenblick, in dem ich Tobias an mich heranlasse, verlasse ich die Sicherheit. Und auch, wenn ich diese Sicherheit nicht besonders mag, sie ist mir immerhin vertraut. Ich kenne sie und das reicht schon, um mich geborgen zu fühlen. Geborgen in der Einsamkeit.
    Was, wenn Tobias genau der Mann ist, den ich brauche und ich nicht den Mut finde, es darauf ankommen zu lassen? Dann verabschieden wir uns höflich und gehen beide unseres Weges. Und bestimmt wäre das auch ein guter Weg. Ich würde eben andere Menschen treffen und irgendwann vielleicht auch einmal einen davon an mich heranlassen. Aber vielleicht ist Tobias der Mensch, den ich brauche. Der Mensch, der mir gut tut. Der Mensch, der mir geben kann, was ich will. Der Anti-Julian. Gutmütig, verlässlich und liebevoll.
    „Worüber denkst du so angestrengt nach?“, fragt Tobias und lächelt

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