44 - Die Intrige von Antares
Nun lagen sie ihrer Zukunft beraubt tot da. Sie trugen bunte Gewänder mit kurzem Saum, und ihre nackten Beine boten einen traurigen Anblick. Einige hatten Glöckchen an den Knöcheln befestigt, und wie Sie wissen, habe ich mir noch immer keine Meinung gebildet, ob diese Sitte geschmackvoll oder einfach nur vulgär ist.
Meine Gefühle geboten mir, diesen schrecklichen Ort sofort zu verlassen, andererseits war ich es diesen armen Menschen wenigstens schuldig, ihnen ein vernünftiges Begräbnis zukommen zu lassen. Doch als ich plötzlich entdeckte, daß Reisende aus der Richtung kamen, aus der ich auf die Meuchelmörder gestoßen war, traf ich eine Entscheidung. Ich wollte mir die langwierigen Erklärungen ersparen, die unweigerlich fällig waren, wenn ich blieb. Außerdem mußte ich weiter, und die Neuankömmlinge konnten die Begräbnisriten sowieso viel besser als ich vollziehen.
Die Zorca spitzten die Ohren, als mich ihnen näherte, und einige scharrten mit den Hufen. Ein Tier schien genau das Richtige zu sein, es war eine graue Zorca, deren Augen scheinbar verkündeten: »Reite mich! Ich bin die Beste!« Ich ging auf sie zu, beruhigte sie und griff nach dem Zaumzeug. Ein Lichtreflex in dem Sonnenschein unter den Bäumen und der dumpfe Laut, mit dem sich der Dolch in den Baumstamm grub, ließen mich instinktiv herumwirbeln, niederducken, einen Pfeil aus dem Köcher ziehen und mit halb gespannten Bogen in die Richtung zielen, aus der geworfen worden war, bevor ich einen bewußten Gedanken gefaßt hatte.
Eine schrille Stimme rief: »Meuchelmörder!«
»Ich bin kein Meuchelmörder, du Fambly!« brüllte ich entrüstet zurück. »Cymbaro sei mein Zeuge, ich bin kein Stikitche!« Dann beruhigte ich mich etwas und rief weniger aufgebracht, aber genauso laut: »Sehe ich so aus?«
»Nein!« erwiderte die Stimme zögernd und halb schluchzend. »Aber ...«
»Ich kann dich sehen, du versteckst dich hinter der Kutsche. Komm heraus und zeig dich, oder ich werde dich zwischen den Radspeichen hindurch mit Pfeilen spicken.«
»Wenn ich noch einen Dolch hätte, würdest du anders reden!«
»Hier!« gab ich erbost zurück. Ich griff in die Höhe und riß die hübsche juwelenverzierte Waffe aus dem Holz. »Da hast du ihn zurück!«
Ich warf ihn so, daß er am unteren Ende der Kutschenrückwand steckenblieb.
»Da hast du ihn!«
»Du stiehlst die Zorca des Stroms!« sagte sie zögernd und unterdrückte wieder ein Schluchzen.
Ich atmete ganz ruhig durch die Nase aus.
»Ich stehle sie doch nicht! Ich leihe sie mir aus!«
»Das sagen alle, wenn sie erwischt werden.«
»Bei dem wippenden Hängebauch und den von Krampfadern durchzogenen Schenkeln Makki-Grodnos!« brüllte ich, erhob mich und ging auf die Kutsche zu. »Mir reicht's! Komm raus, Mädchen, Bratch! «
Ich muß einen einschüchternden Anblick geboten haben, denn in der linken Hand hielt ich den Bogen, während die Finger der rechten Hand gleichzeitig den Pfeil hielten und sich um die Sehne krallten und sie bis zur Hälfte zurückzogen. Außerdem wird auf meinem Gesicht jener dämonische Ausdruck geleuchtet haben, den viele Leute als den Dray Prescot-Teufelsblick bezeichnet haben.
»Raus!« sagte ich, und ich bellte das Wort förmlich heraus, als würde es sich um einen Befehl auf dem Kasernenhof handeln. »Komm da raus!«
Sie kroch unter der Kutsche hervor wie ein Kätzchen, das sich durch einen engen Spalt zwängt. Ihr rosafarbenes Kleid war an der linken Seite zerrissen und wurde nur noch von ein paar Fäden zusammengehalten. Sie machte einen halbherzigen Versuch, es zurechtzurücken. Dann stand sie keuchend auf und hielt mit der Hand ein blutiges Fellbündel. Dabei liefen ihr Tränen die Wangen hinunter. Ihre linke Gesichtshälfte war blutverkrustet. Die Spangen, die ihre Haarmähne zusammengehalten hatten, waren vermutlich bei dem bösen Schlag, der sie verletzt hatte, verlorengegangen, doch selbst Schmutz und Blut konnten ihrem Haar nicht seine Pracht nehmen.
Sie bemerkte, daß ich auf das blutige Bündel starrte, das sie so eng gegen ihre nackte Haut drückte, wo das rosafarbene Kleid aufklaffte. Dabei veränderte sich die Farbe ihrer im Licht der Sonnen hell funkelnden Augen auf seltsame Weise, es war, als würde eine Öllache auf der Wasseroberfläche schwimmen oder Seide zwischen gespreizten Fingern durchgezogen. Ihre grünen Augen wurden grau, als sich die Veränderung meines Gesichtsausdrucks in ihnen widerspiegelte.
»Bandi«, sagte sie leise.
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