44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
Lasso eingefangen werden. Sie lassen sich das Geschirr nur mit höchster Widerspenstigkeit anlegen, aber einmal im Zug, sind sie auch kaum aus ihrem rasenden Galopp herauszubringen.
Die Gegend, die man durchfährt, ist beinahe ganz unbevölkert, der Weg geht durch öde Felsenstrecken, tiefe Schluchten, finstere Urwälder, und selten bemerkt man einmal eine einsame, armselige Indianerhütte, die von einem herabgekommenen Nachkommen der einstigen Beherrscher des Landes bewohnt wird. Kein Europäer kann sich einen Begriff von den Hindernissen machen, die der Reisende zu überwinden hat! Oft ist die Straße weiter nichts als das ausgetrocknete, mit Felsbrocken bedeckte Bett eines im Frühjahr reißenden Bergstromes, oft führt sie an Abgründen vorüber, in die man beim geringsten Fehltritt stürzt. Und dabei braust die Diligence in einem rasenden Galopp immer weiter. Der Kutscher sitzt auf dem Bock, die sechzehn Zügel in der Hand, und neben ihm sein Adjutant, der Mauleselbub.
Dieser hat keine Minute Ruhe. Er springt mitten im Galopp vom hohen Bock, um die Tiere zu richten oder den Wagen zu halten, dabei sammelt er sich die Taschen voller Steine, springt mitten im Lauf wieder auf, ohne daß dem Tempo im geringsten Einhalt getan wird, und bombardiert nun mit seinen Steinchen diejenigen Tiere, die sich faul oder unlenksam zeigen.
Dies ist die Schule, durch die er gehen muß, um später Kutscher werden zu können. Ein guter Diligencekutscher ist eine geschätzte Persönlichkeit, und zwar mit Recht. Er wird von jedermann ‚Señor‘ genannt. Wenn er die Strecke zwischen Mexiko und Vera Cruz versieht, so bezieht er eine Gage von hundertzwanzig Peso pro Monat, das sind nach unserem Geld ungefähr fünfhundert Mark. Dabei wird er beköstigt und hat am Ende des Jahres, wenn er kein einziges Mal umgeworfen hat, noch Anspruch auf eine Extrabelohnung von tausend Mark zu rechnen. Er steht sich noch besser als ein deutscher Postillion.
Eine große Plage ist die Unsicherheit des Weges. Jeder Mexikaner ist mehr oder weniger ein Freibeuter, zuweilen tun sich mehrere zusammen, und so ist es kein Wunder, wenn man eine Reise nur wohl bewaffnet unternimmt. Und dennoch kommt es häufig vor, daß die Passagiere ihr Ziel nicht unberaubt, vielleicht auch gar nicht erreichen, weil sie getötet werden.
Am Abend gelangten unsere Reisenden an eine Art von Gehöft, wo sie gezwungen waren, zu übernachten. Dasselbe bestand aus einer niedrigen, schmutzigen Hütte, an die eine Umzäunung stieß, die von stacheligem Kaktus hergestellt worden war. Innerhalb der Umzäunung weideten einige magere Pferde und Maultiere. Die Hütte bewohnte der ‚Postmeister‘, ein hagerer Mexikaner, der einem Raubmörder ähnlicher sah, als einem ehrlichen Mann.
Er führte neben der ‚Posthalterei‘ einen Pulque-Schank, das heißt, er sammelte den Saft einer Agaven-Art, ließ denselben in schmutzigen Töpfen gären und verkaufte ihn gegen hohes Geld an diejenigen Insassen der Diligence, die sich nicht ekelten, ihren Durst mit dieser Brühe zu stillen.
Amy behauptete, sich vor diesem Mann zu fürchten, sie scheute sich überdies vor dem gräßlichen Schmutz seiner Wohnung, und so wurde ihr in der Diligence ein Lager zubereitet. Die drei Männer wollten in der Nähe derselben im Freien schlafen.
Der Abend war ein herrlicher. Die Sterne leuchteten wie glühende Funken vom Himmel hernieder, und balsamische Lüfte fächelten die ruhende Erde. Amy und Mariano hatten sich von den anderen getrennt und wandelten unter dem Schutz der Umzäunung auf und nieder. Sie führten sich am Arm; das Herz war ihnen voll, und doch fanden sie keine Worte, um die Größe ihres Glückes zu beschreiben. Endlich sagte Amy mit leiser Stimme:
„Welch eine Zeit zwischen jetzt und Rodriganda!“
„Eine Zeit schwerer Trübsale für mich“, antwortete er.
„Und für mich eine Zeit bitterer Sorge um dich, mein Alfred.“
Da ließ er ihren Arm fahren, blieb stehen und sagte:
„Nenne mich nicht mehr Alfred, sondern Mariano, denn so ist mein Name.“
„Mariano?“
„Ja. Alfred de Lautreville war nur ein angenommener Name.“ Amy blickte überrascht zu ihm empor und sagte nach einer kleinen Pause: „War es das, was dich so sehr bedrückte?“
„Ja, das war es. Komm, laß uns niedersetzen. Ich muß wahr gegen dich sein.“
„Hat dies nicht noch Zeit, mein Geliebter?“
„Nein. Es lastet schwer auf meiner Seele, und diesen Druck will ich los werden.“
„Aber du bist krank.
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