44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
„Das ist kein anderer als jener Sternau, der ein wahrer Held an Geist und Körper zu sein scheint. Ich kenne in zwar persönlich nicht, aber was ich von ihm gehört habe, das ist genug, um ihm mein volles Vertrauen zu schenken.“
Er klingelte seinem Diener und ließ sich zum Ausgehen ankleiden. Heute aber machte er von seiner Equipage keinen Gebrauch. Zwar ist es in Mexiko fast eine Schande, sich als Fußgänger auf der Straße sehen zu lassen, aber der Lord zog es dennoch vor, nach dem Hotel zu gehen, das ihm als Absteigequartier der drei Herren von seiner Tochter bezeichnet worden war.
Als er dort angekommen, erkundigte er sich bei dem Wirt nach Señor Sternau. „Er ist in seinem Zimmer“, lautete die Antwort. „Wollen Sie ihn sprechen?“
„Ja.“
„Wen soll ich melden?“
„Einen Herrn, der ihn unter vier Augen zu sprechen verlangt.“
Sternau wunderte sich allerdings, als er so kurze Zeit nach seiner Ankunft hörte, daß ihn bereits ein Fremder zu sprechen wünsche, noch dazu unter vier Augen, doch gewährte er sofort diese Bitte. Als der Lord eintrat und nun die beiden Männer sich gegenüberstanden, maßen sie sich zunächst mit forschenden Blicken. Sternau erkannte sofort, daß er keinen gewöhnlichen Mann vor sich habe, und das Auge des Lords wiederum hing mit sichtbarem Wohlgefallen an der Riesengestalt und dem offenen Angesicht des Deutschen.
„Sie haben mich zu sprechen verlangt?“ fragte der letztere in wohlklingendem Spanisch.
„Allerdings“, antwortete der erstere. „Vielleicht ist es Ihnen lieber, wenn wir uns der deutschen Sprache bedienen?“
„Ah, Sie sind ein Deutscher?“
„Nein, ein Engländer. Mein Name ist Lindsay.“
Sternau machte eine Gebärde der Überraschung.
„Lindsay, Sir? Sie sind vielleicht gar Lord Lindsay, der Vater von –?“
„Allerdings bin ich der, mein Herr.“
„Dann bitte ich dringend, Platz zu nehmen, Sir. Ich konnte nicht ahnen, daß ich einen so unerwarteten Besuch bei mir sehen würde.“
„Unerwartet ist dieser Besuch allerdings“, sagte Lindsay, indem er sich setzte. „Aber Sie werden dennoch den Grund desselben ahnen.“
„Vielleicht“, antwortete Sternau mit einer ernsten Neigung seines Hauptes.
„Lassen Sie sich zunächst Dank sagen, Herr Doktor, für die Freundlichkeit und Aufmerksamkeit, die Sie meiner Tochter erwiesen haben.“
„O bitte! Ich tat nichts anderes, als was jeder gebildete Mann tun würde.“
„Und sodann erlauben Sie mir, mich in einer sehr ernsten Sache an Sie zu wenden.“
Sternau hielt es für seine Pflicht, dem Lord entgegenzukommen.
„Sie meinen den Freund, der bei mir ist?“ fragte er.
„Ja. Ich meine das Verhältnis dieses Herrn zu meiner Tochter.“
„So hat Miß Amy Ihnen sofort erzählt –?“
„Sofort! Ich konnte das auch gar nicht anders von ihr erwarten. Sie ist gewöhnt, ihrem Vater zu vertrauen. Sie kennen diesen Freund genau, Herr Sternau?“
„Ja.“
„Und auch seine Vergangenheit?“
„Ja.“
„So ist Ihnen dieselbe also kein Rätsel?“
„Nein.“
„Aber Amy sagte doch, daß er sich in Verhältnissen befinde, die eine geradezu abenteuerliche Entwicklung derselben erwarten lassen.“
„Wollen Sie mich nicht falsch verstehen, Sir!“ bat Sternau. „Sie fragten mich, ob ich die Verhältnisse meines Freundes kenne, und ich bejahte diese Frage, weil ich die Lage meinte, in der er sich gegenwärtig befindet. Er ist – um kurz zu sein – ein entsprungener Räuberzögling, der auf Gottes weiter Welt nichts, gar nichts sein eigen nennt. Das ist, was ich über ihn zu sagen habe.“
Der Lord sah den Sprecher fragend und ungewiß an. Dann fragte er:
„Aber dieser Zögling, der Räuber hat wohl eine Zukunft?“
„Höchstwahrscheinlich.“
„Und welche?“
Sternau zuckte die Achseln. Er kannte den Lord nicht, er wußte nicht, mit welchen Hintergedanken derselbe gekommen sei, und verhielt sich daher zurückhaltend.
„Sie sind sehr reserviert, Herr Sternau“, versetzte Lindsay. „Lassen Sie sich sagen, daß ich nichts so sehnlich wünsche, als daß mein Kind glücklich sei. Sie werden aber einsehen, daß ein vorsichtiger Vater keineswegs das Glück seines Kindes in einer Verbindung mit einem Mann gesichert sieht, von dem er nichts anderes weiß, als daß derselbe ein Räuber war.“
„O bitte, Mariano war nicht Räuber, Sir!“
„Gut, ich will das zugeben. Sie werden jedoch meinen Wunsch begreifen, etwas Näheres über diesen Mariano zu erfahren. Und da
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