44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
die Anwesenden sah, erhob er sich. Sein Auge ruhte geistesabwesend auf ihnen, und in klagendem Ton sagte er:
„Ich bin der treue, gute Alimpo.“
„Hören Sie, Monsieur!“ sprach Otto zu dem Maire.
„Ja, es sind wahrhaftig diese Worte!“ meinte dieser. Und sich zu Flora wendend, fragte er: „Finden Sie eine Ähnlichkeit, Durchlaucht?“
Die Augen der Gefragten hatten erst forschend auf dem Wahnsinnigen geruht, jetzt aber waren sie bereits voller Tränen. Sie trat auf den Kranken zu, faßte seine beiden Hände und fragte unter tiefer Bewegung:
„Erlaucht, Don Emanuel, kennen Sie mich noch?“
„Ah, er ist es also?“ rief der Maire.
„Ja, Monsieur, er ist es!“ beteuerte Flora. „Ich kenne ihn zu gut, es ist der Graf Emanuel und kein anderer. Er ist hagerer geworden, hat sich aber sonst nicht im mindestens verändert, ausgenommen nur, daß er sehen kann. O, Don Emanuel, reden Sie doch! Sagen Sie mir doch, ob Sie mich erkennen! Ich bin ja Flora Olsunna, die Sie in Rodriganda besucht hat.“
Der Kranke hielt seine Augen mit einem öden, leeren Blick auf sie gerichtet. Sein Gesicht war bleich, wie aus Wachs geformt, ohne Bewegung, ohne einen einzigen Zug, der auf eine Spur von noch vorhandenem Seelenleben hätte schließen lassen. Nur seine bleichen Lippen öffneten sich, und mit jener Stimme, die dem Erzeugnis einer künstlichen Sprechmaschine glich, sagte er:
„Ich bin der treue, gute Alimpo!“
Otto fühlte sich von diesem Anblick tief ergriffen, auch der Maire räusperte sich, um eine Aufwallung des Mitleides zu bekämpfen, die er mit der Würde seines Amtes nicht vereinbar hielt. Flora aber fühlte ihr ganzes Gemüt in Aufruhr. Ein unendlicher Jammer trieb ihr immer neue Tränen in die Augen, es überkam sie ein so herzliches, so inniges Erbarmen über den Anblick dieses früher so oft gesehenen Mannes, daß sie die Arme um ihn schlang und unter lautem Schluchzen rief:
„O, mein guter, unglücklicher Don Emanuel, wie finde ich Sie wieder! Wer Ihnen das angetan hat, wird es in jenem Leben nicht verantworten können.“
Zarba war erschrocken, als sie den Grafen erkannt sah. Sie trat jetzt vor und sagte:
„Diese Doña irrt sich. Der Kranke ist Anselmo Marcello, ich kenne ihn.“
„Schweig, Betrügerin!“ rief Flora. „Herr Maire, ich fordere Sie auf, dieses Weib und den Wärter festzunehmen!“
„Uns?“ fragte da Gabrillon mit gut gespielter Entrüstung. „Was habe ich getan? Dieser alte, verrückte Mann ist mein Vetter. Wenn er ein Graf wäre, so wäre er nie wahnsinnig geworden. Die Not und der Hunger haben ihn um den Verstand gebracht. Ich habe ihn aus Mitleid zu mir genommen und soll nun zum Lohn dafür gefangen gesetzt werden? Es ist lächerlich!“
Der Maire fühlte sich durch diese Auslassung außerordentlich beleidigt.
„Ruhig!“ gebot er. „Was das Gericht und die Polizei tun, das ist niemals lächerlich. Du bist mein Gefangener. Ich verhafte dich und die Zigeunerin im Namen des Gesetzes!“
„Verhaften? Mich?“ fragte Gabrillon. „Greift zu, wenn ihr es fertig bringt!“
Er sprang auf den Maire, der das nicht erwartet hatte, zu, stieß ihn zur Seite und flog – nicht die Treppe hinab, wie er beabsichtigt hatte, sondern den Gendarmen in die Arme, die da postiert waren.
„Donnerwetter!“ rief er erschrocken.
„Haltet ihn fest!“ gebot der Maire. „Durch diesen Fluchtversuch hat er seine Schuld bestätigt. Nehmt auch dieses alte Weib fest. Sie soll uns sagen, wie sie den Grafen hierhergebracht hat!“
„Ich? Ich soll arretiert werden? Ich, die Unschuldige!“ rief Zarba. „Ich bin die Königin der Gitanos, wer will mich richten! Ihr habt in diesem Augenblick die Gewalt, mich festzunehmen, aber nicht die Macht, mich festzuhalten.“
„Keine Faselei, Alte!“ sagte der Gendarm, der sie beim Arm faßte. „Dein Königreich ist der Bettel, und deine Untertanen sind Lumpen, man wird wenig Federlesens mit dir machen.“
Sie wurde zur Tür hinausgeschoben und, ebenso wie der Leuchtturmwärter, nach dem Gefängnis gebracht. Als sie fort waren, sagte der Beamte:
„Man wird ihnen wegen dieses crimen einen bösen Prozeß machen. Nun aber bitte ich die Herrschaften, sich zu seiner Durchlaucht, dem gnädigen Herzog, zu bemühen, um auch ihn zu fragen, ob er den Grafen erkennt.“
„Wir haben noch einen Zeugen, nämlich den Diener des Herzogs“, bemerkte Otto. „Dieser hat früher bei dem Grafen Rodriganda gedient und kennt ihn ebenfalls. Er behauptet, daß
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