45 - Waldröschen 04 - Verschollen
erkundigte sich der erstere erschrocken.
„Weil die Zeit vorüber ist und mein Steuermann denkt, daß man mich feindlich empfangen hat. Ich muß eilen, ihn aus dem Irrtum zu reißen!“
„Ja, eile, eile; wir kommen nach!“ rief der Sultan.
Der Kapitän verließ mit dem Dolmetscher schleunigst das Haus. Draußen auf den Gassen standen erschrockene Männer, welche bei seinem Anblick an ihre Messer griffen, ihn aber doch ungehindert gehen ließen. Vor dem Tor angekommen, zog er sein Taschentuch und schwenkte es in der Luft, und sogleich hörte er ein lautes Hurra vom Schiff erschallen. Einige Augenblicke später stieß ein Boot ab, um ihn an Bord zu holen.
„Das war eine schlimme Unterredung“, sagte der Dolmetscher. „Im Anfang war es mir um mein und dein Leben bange.“
„Dann aber beruhigtest du dich?“ fragte Wagner lachend.
„Ja. Herr, sage mir, ob die Deutschen alle so mutig sind wie du?“
„Alle“, antwortete der Gefragte mit Selbstgefühl, obgleich er sich im Stillen sagte, daß dies eine Unwahrheit sei. Aber er als Ungläubiger machte sich kein großes Gewissen daraus, einem wahren Gläubigen einmal eine Lüge zu sagen. Das Boot stieß ab, und der Bootsmann, welcher es steuerte, meinte:
„Ein Glück, daß Sie kommen, Kapitän! Wir hätten unsere ganze Munition verschossen, um dieses Nest der Erde gleichzumachen. Und die Tauenden waren auch bereits gedreht, ah denen die Gefangenen baumeln sollten.“
„Es ist alles gut gegangen“, antwortete er. „Es wird bis zur Nacht und wohl auch noch länger tüchtige Arbeit geben, dafür sollt ihr aber auch eine Extraration haben und, wenn etwas glückt, eine volle Monatslöhnung dazu. Stoßt ab!“
„Hurra, Kapitän Wagner!“ riefen die Jungens, während das Boot wie eine Möwe in die Flut hinausschoß.
Als Wagner an Bord kam, trat ihm der Steuermann mit einem herzlichen Händedruck entgegen. Man sah ihm die Freude an, welche er in diesem Augenblick empfand.
„Gott sei Dank!“ sagte er. „Ich gab dich schon verloren!“
„Du hast volle zehn Minuten zu früh geschossen!“
„Das ist hier kein Fehler. Sie haben wenigstens gesehen, daß wir Kerle sind. Und wenn es dir übel ging, konnten diese zehn Minuten dich vielleicht retten. Wie ist es am Land abgelaufen?“
„Ausgezeichnet. Ich werde dir alles später sagen. Jetzt wird der Handel beginnen. Wie steht es mit der Ladung?“
„Da, blicke dich um!“
Er sagte dies in einem sehr befriedigten Ton, und er hatte ein Recht dazu, denn das ganze Deck stand voller Kästen und Ballen, welche bereits geöffnet waren.
„Ihr seid fleißig gewesen“, nickte der Kapitän freundlich. „Sorge für eine tüchtige Extraration. Bis zum Abend haben wir vielleicht alles verkauft.“
„Also wirklich?“ fragte der Steuermann, halb und halb ungläubig.
„Ja. Sieh dort ans Land. Da kommt bereits der Gouverneur.“
„Und wer ist der andere?“
„Der Sultan von Härrär. Sie werden natürlich das Beste für sich nehmen wollen. Wir machen einen Zuschlag von zwanzig Prozent auf unsere Preise und verkaufen nur kisten- und ballenweise. Merke dir das!“
„Donnerwetter, das gibt einen guten Handel!“
Mit diesem freudigen Ausruf eilte der Steuermann davon, um seine Pflichten zu erfüllen, die ihn heute mehr als doppelt in Anspruch nahmen.
Als die beiden hohen Herren an Bord erschienen, wurden sie zunächst nach der Kajüte geführt. Sie sollten dort bewirtet werden, doch gaben sie dies nicht zu, da ihre Ungeduld, das Schiff flottzumachen, ihnen eine solche Zeitversäumnis nicht zuließ. Der Sultan hatte einen ganzen Sack von Mariatheresientalern mitgebracht und ein Kästchen Goldsachen, meist Arm- und Fußspangen und Halsketten, welche er seinen Untertanen abgenommen hatte. Der Gouverneur zeigte Perlen vor, jedenfalls auch nicht auf die uneigennützigste Weise in seinen Besitz gekommen, und so konnte der Handel beginnen.
Die beiden Männer verlangten das Beste zu sehen. Sie wählten und handelten nicht lange, und als sie ihre Einkäufe in die Boote bringen ließen, sagte sich der Kapitän, daß er einen ganz ungewöhnlichen Profit gemacht habe.
„Siehst du, daß ich Wort gehalten habe?“ sagte der Gouverneur zu Wagner, indem er nach dem Strand zeigte. „Dort kommen sie. Wenn du gut auf Ordnung hältst, so wird alles sehr schnell gehen.“
Der ganze Strand war mit Menschen besetzt, welche sich Mühe gaben, Kähne zu erlangen, mit deren Hilfe sie ihre Tauschwaren an Bord bringen könnten. In
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