45 - Waldröschen 04 - Verschollen
Stück dieser Kante ab. Er gebrauchte sie als Messer, befreite mit demselben auch seine Füße und war nun frei. Nach noch nicht zehn Minuten standen alle aufrecht da, im Besitz des Gebrauches ihrer Glieder.
Da erhob ‚Büffelstirn‘ die Hand, deutete auf das Schiff und fragte:
„Wünschen meine Brüder, daß wir das große Kanon unserer Feinde erobern?“
Sternau mußte trotz des Ernstes ihrer Lage doch beinahe lächeln, als er antwortete:
„Das ist unmöglich, ganz und gar unmöglich!“
Da deutete ‚Büffelstirn‘ auf die Brandung.
„Fürchten sich meine Brüder vor diesem Wasser?“ fragte er. „Der Häuptling der Mixtekas schwimmt durch jedes Wasser!“
„Aber ehe er hinauskommt, ist das Schiff bereits fort. Da zieht es schon die Segel wieder in den Wind. Es geht weiter. Welcher Schwimmer kann es erreichen!“
Er war so, wie er sagte. Das Schiff hatte seinen Lauf wieder aufgenommen. Es war ein guter Segler und machte eine so schnelle Fahrt, daß die Insel, besonders da sie nicht sehr groß war, bald aus den Augen der Bemannung verschwand.
Der Kapitän stand oben auf dem Quarterdeck und blickte noch mit dem Fernrohr nach ihr zurück. Als er sie nicht mehr erkennen konnte, schob er das Rohr zusammen und drehte sich zu dem Steuermann.
„Fertig!“ sagte er. „Diese Herrschaften sind sicher aufgehoben.“
„Sicher?“ sagte er. „Wie nun, wenn es ihnen doch gelingen sollte, sich zu befreien?“
„Das gelingt ihnen nie. Sie machen mir keine Sorge, wohl aber diese hier.“ Er deutete bei diesen Worten auf seine Matrosen.
„Man wird Maßregeln treffen müssen“, meinte der Steuermann mit verschlagenem Lächeln.
„Das werden wir“, nickte der Kapitän. „Halten wir unseren Kurs nach Westnordwest. Ich will die Insel Pitcairn anlaufen.“
„Hm!“ brummte der Maat, indem er langsam mit dem Kopf nickte. Er hatte seinen Gebieter vollständig verstanden.
Die Fahrt blieb auch jetzt eine gute. Pitcairn wurde glücklich erreicht, und der Kapitän ging mit seiner Gig ganz allein an das Land.
„Das hat etwas zu bedeuten!“ dachte der Steuermann. „Ich aber will mich in acht nehmen.“
Als Landola zurückkehrte, machte er eine sehr ärgerliche Miene.
„Es war nichts!“ sagte er. „Ich wollte unsere Kerls gegen neue Mannschaften umtauschen und mich gar nicht aufhalten. Aber das geht sehr langsam hier. Wir werden einige Tage warten müssen.“
„Soll ich es nicht lieber einmal versuchen, Kapitän?“ fragte der Maat.
Es war ihm jetzt nicht geheuer auf dem Schiff. Landola wollte die Zeugen seiner Tat unschädlich machen, und er selbst, der Steuermann, befand sich in derselben Gefahr, da er auch ein solcher Zeuge war. Landola machte ein freundliches Gesicht, als sei er einer großen Sorge überhoben, und antwortete:
„Das wäre mir das Liebste. Es können noch einige mitgehen, und wenn ihr bis morgen abend bleibt, so könnt ihr genug Leute finden. Vier Mann im Boot werden genug sein.“
„Völlig. So werde ich mich sogleich fertig machen.“
„Aber die Waffen nicht vergessen, denn mit diesen Eingeborenen ist nicht zu scherzen.“
Der Steuermann ging. Als er sich entfernt hatte, lachte der Kapitän höhnisch und brummte leise vor sich hin:
„Dieser Kerl durchschaut mich. Er soll der erste sein, der dran muß. Wie gut, daß ich gleich die Mannschaft des gescheiterten Walfischfängers fand, welche froh ist, aufgenommen zu werden. So kann ich kurzen Prozeß machen.“
Er stieg dem Steuermann nach. Dieser stand im Begriff, seine gute, mit blanken Ankerknöpfen besetzte Jacke anzuziehen. Auf dem kleinen, angeschraubten Tischchen lag ein Doppelterzerol. Der Maat hatte es bereits geladen, um eine Waffe gegen etwaige Überfälle der Eingeborenen zu haben.
„Bereits scharf geladen?“ fragte der Kapitän, indem er die Waffe ergriff, wie um sie zu besehen.
Der mißtrauische Steuermann ahnte etwas. Er griff schnell zu und sagte:
„Halt, Vorsicht, Kapitän! Mit dem Ding ist nicht zu spaßen!“
„Das will ich auch nicht!“
Mit diesen Worten riß der Kapitän seine Hand, welche die Pistole fest gefaßt hatte, los und drückte ab. Die Kugel fuhr dem Steuermann durch das Auge in das Gehirn. Er stürzte sofort tot zusammen.
Nun sprang der Kapitän rasch an Deck und rief die Leute zu Hilfe.
„Der Maat hat sich verwundet!“ rief er. „Er ist mit seinem Gewehr unvorsichtig umgegangen.“
Alles eilte hinab. Man fand, daß von einer bloßen Verwundung keine Rede war; er war
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