45 - Waldröschen 04 - Verschollen
die Gefahr hin, den größten Fehler zu begehen und Ihren gegenwärtigen Zorn noch zu vergrößern.“
„Zorn?“ lächelte Rosa überlegen. „Nein, von Zorn ist keine Rede. Erzürnen könnte mich nur ein ebenbürtiger Charakter. Sie haben sich nicht meinen Zorn, sondern nur meine Verachtung erworben. Ich begreife nicht, was Sie mir noch zu sagen haben könnten, ich verzichte auf jede weitere Mitteilung und ersuche Sie abermals, den Wagen zu verlassen!“
„Nein und abermals nein!“ entgegnete er dringend. „Sie müssen meine Verteidigung hören!“
„Müssen? Ah! Wir werden ja sehen, ob ich muß!“
Ihre Augen blickten suchend die Allee entlang, während der Leutnant fortfuhr:
„Die Wahrheit ist die, daß ich Ihnen wochenlang folge, seit ich Sie hier zum ersten Mal gesehen habe. Ihr Anblick hat mein Herz mit Gefühlen –“
Er wurde von einem Lachen unterbrochen, welches sich so golden hell von ihren rosigen Lippen Bahn brach, daß er diese Lippen sofort und tausendmal hätte küssen mögen. Er fühlte, daß er hier in großer Gefahr sei, die Rollen zu verwechseln und selbst gefangen zu werden.
„Sie folgen mir bereits wochenlang?“ fragte sie.
„Ja, auf Ehre, meine Gnädige!“ beteuerte er.
„Hier in Berlin?“
„Allerdings“, antwortete er, bereits etwas kleinlauter.
„Und Sie sagen, daß Sie mir die Wahrheit gestehen wollen?“
„Die reine, aufrichtige Wahrheit, ich beschwöre es!“
Bei dieser Versicherung legte er die Hand auf das Herz; sie bemerkte es nicht, sie sah nur, daß da vorn in der Allee ein Schutzmann postiert war, und das hatte sie längst bereits gewünscht.
„Nun, so will ich Ihnen sagen“, entgegnete sie, „daß Sie abermals lügen. Ich war noch nie in Berlin und befinde mich erst seit gestern hier. Sie sind ein ganz und gar renitenter und unverbesserlicher Mensch. Ich bedaure die Armee, welche so unglücklich ist, Sie Kamerad nennen zu müssen, und befehle Ihnen nun wirklich zum letzten Mal, unseren Wagen zu verlassen.“
„Ich werde nicht eher gehen, als bis ich mich gerechtfertigt habe“, behauptete er. „Und wollen Sie mich nicht hören, so werde ich bleiben, um Ihre Wohnung zu erfahren und dort Sie aufzusuchen, um mich zu verteidigen.“
Da blitzte ihr Auge auf, und mit der höchsten Geringschätzung in Miene und Ton sagte sie:
„Ah, Sie denken, daß zwei Damen zu schwach sind, sich zu verteidigen? Ich werde Ihnen das Gegenteil beweisen. Johann, halte an!“
Der Kutscher gehorchte. Der Wagen hielt an der Stelle, an welcher sich der Schutzmann befand, doch konnte der Leutnant, da er mit dem Rücken vorwärts saß, den Polizisten nicht sehen. Er lehnte sich nachlässig in den Sitz zurück und beschloß, va banque zu spielen. Wenn das Mädchen die Equipage zehnmal halten ließ, er wollte dennoch auf seinem Posten bleiben.
„Schutzmann, bitte treten Sie einmal näher!“ rief Rosa.
Da drehte sich der Leutnant schnell um; er sah den Näherkommenden, erkannte die Absicht des Mädchens und konnte die Röte der Verlegenheit nicht verbergen, welche sich über sein erschrockenes Gesicht ausbreitete. Er öffnete bereits den Mund, um durch irgendeine geistesgegenwärtige Bemerkung der Gefahr die Spitze zu nehmen, aber Rosa kam ihm zuvor.
„Schutzmann“, sagte sie, „dieser Mensch hat uns im Wagen überfallen und ist nicht wieder hinwegzubringen. Helfen Sie uns!“
Der Polizist warf einen erstaunten Blick auf den Offizier. Dieser erkannte, daß er sich nur durch einen schleunigen Rückzug vor unangenehmen Weiterungen bewahren könne. Er stieg schnell aus und sagte nur:
„Die Dame scherzt nur, aber ich werde dafür sorgen, daß sie ernster wird.“ Er schritt mit einem drohenden Blick auf den Wagen davon.
„So sind wir befreit. Ich danke Ihnen!“
Mit diesen an den Schutzmann gerichteten Worten winkte sie dem Kutscher, die unterbrochene Fahrt fortzusetzen, und der Polizist blieb allein zurück, ohne sich den Vorgang ganz erklären zu können.
Der Leutnant fühlte sich gedemütigt, wie noch nie in seinem Leben. Er knirschte vor Wut. Dieser Backfisch sollte ihm diese Abfertigung entgelten! Da erblickte er eine leere Droschke, welche ihm entgegenkam. Er wandte sich sofort wieder retour, ließ sie herankommen, stieg ein und befahl dem Roßlenker, der Equipage zu folgen, welche in der Ferne noch zu erkennen war. Er wollte um jeden Preis erfahren, wo die Damen wohnten.
Die Fahrt ging durch einen großen Teil des Tiergartens und dann in die Stadt zurück.
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